Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus, für Vielfalt und Toleranz
07. September 2006

Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte mich in meinem Beitrag auf das Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus, für Vielfalt und Toleranz beziehen. Frau Bundesministerin von der Leyen hat dankenswerterweise schon dieses neue Programm erwähnt. Allerdings ist die Aussicht für viele Akteure leider nicht so rosig, wie das hier geschildert wurde.

Nach monatelanger Unklarheit darüber, ob das Geld ganz gestrichen, gekürzt oder für neue Inhalte ausgegeben werden soll, blieb der Ansatz für 2007 nun doch bestehen. Das ist erfreulich. Aber wie geht es jetzt weiter? Ende 2006 laufen die bisherigen Bundesprogramme „Civitas“ und „Entimon“ nach fünfjähriger Modellphase aus. Diese Modellphase war ausgesprochen erfolgreich. Bürgerinnen und Bürger lernten in Projekten vor Ort, Zivilcourage zu zeigen. Es gab Aufklärung, unter anderem in Schulen und Behörden. Opfer rechtsextremer Gewalt bekamen endlich spezifische Hilfe. Viel Erfahrung und Fachwissen liegen jetzt vor.
Der Bund ist nun in der Verantwortung, die gewachsenen Strukturen auch weiterhin zu unterstützen.

(Iris Gleicke [SPD]: Vor allen Dingen aber auch die Länder, Frau Kollegin! Thüringen!)

– Selbstverständlich. Darüber sind wir uns einig.

(Iris Gleicke [SPD]: Gut!)

Das ist doch überhaupt kein Problem. Ich bin ja erst am Anfang; darauf komme ich noch.
Bundesfinanzmittel zur Stärkung der Zivilgesellschaft sind im Entwurf 2007 wieder eingeplant. Die entscheidende Frage ist: Für welche Projekte und auf welchem Weg soll dieses Geld ausgegeben werden? Dazu sind die Vorstellungen der Bundesregierung leider noch unkonkret. Was wird etwa aus den mobilen Beratungsteams, den Netzwerkstellen und der Opferberatung

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Diana Golze [DIE LINKE])

und was aus Aussteigerprojekten wie „Exit“? Für sie geht die Zitterpartei weiter, auch wenn im Haushalt die gleiche Summe zur Verfügung stehen wird. Viele Träger sind stark verunsichert, müssen Büros schließen und sich arbeitslos melden; Kollegin Golze hat dankenswerterweise auch darauf schon hingewiesen. Sollen sich etwa die Rechtsextremen ab dem nächsten Jahr freuen, wenn die engagierten Aufklärer nicht mehr vorhanden sind? Ich kann und will mir das nicht vorstellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Spieth [DIE LINKE])

Natürlich müssen sich auch die Länder an der Finanzierung angemessen beteiligen.

(Iris Gleicke [SPD]: Allerdings!)

Wir wissen, dass nicht alle das tun. Thüringen gibt da leider ein sehr schlechtes Beispiel.

(Iris Gleicke [SPD]: Das ist wohl wahr!)

Ich hoffe, ab nächstem Jahr tut sich da etwas. Aber es sieht nicht allzu gut aus. In Sachsen zum Beispiel haben etliche Projekte Geld aus dem Programm "Weltoffenes Sachsen“ erhalten, aber oft erst, nachdem dieses durch das Bundesprogramm „Civitas“ gefördert wurde. Durch das neue Bundesprogramm, das Anfang 2007 beginnt, entsteht aber ein Übergangszeitraum. Dann wird es für die Projekte schwierig, da es Anfang des Jahres Zusagen weder vom Bund noch vom Land gibt. Diese Lücke muss noch geschlossen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch beim Antragsverfahren sind Veränderungen angedacht. Künftig sollen nur noch die Kommunen Anträge auf Fördergelder stellen dürfen. Ich halte es für richtig, dass die Verantwortung der Kommunen gestärkt wird. Leider aber sind viele Kommunen und Landkreise oft noch Teil des Problems. Ihnen fehlt die Sensibilität für das Thema oder, schlimmer noch, sie teilen die Ansichten. Gerade dort aber ist die Arbeit gegen Rechtsextremismus nach wie vor notwendig. Wenn jedoch freie Träger selbst keine Förderanträge mehr stellen können, besteht die Gefahr, dass sie zu Bittstellern werden. Deshalb brauchen wir ein gemeinsames Recht für Kommunen und Träger vor Ort, Fördermittel zu beantragen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Diana Golze [DIE LINKE])

Nur so können sich beide auf Augenhöhe gleichberechtigt gegenüberstehen. Nur so wird es auch eine inhaltliche Auseinandersetzung geben, die gleichberechtigt ablaufen kann. Es gibt in den Ländern und Kommunen viele Aktionen, um die Zukunft der Strukturprojekte abzusichern. Aktiv sind dabei Menschen aus allen demokratischen Parteien. Zum Beispiel hat die CDU-Landtagsfraktion von Mecklenburg- Vorpommern in einem Brief vom 15. August an Bundeskanzlerin Merkel geschrieben – ich zitiere –: Leider zeigt sich, dass die demokratische Grundordnung in unserem Land noch nicht tief genug verankert ist, als dass sie nicht doch noch ins Wanken geraten kann.

Diese Warnung sollte auch die Bundesregierung ernst nehmen und den gefährlichsten Feinden unserer Demokratie, den Rechtsextremen, keinen Raum lassen. Zu diesem Kampf gehört, die Initiativen zu stärken, inhaltlich und finanziell.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In dem Brief heißt es weiter: In den letzten Monaten hat die CDULandtagsfraktion mit unterschiedlichen Partnern eine Reihe kleinteiliger Veranstaltungen … organisiert. Dabei haben uns die kompetenten Mitarbeiter des mobilen Beratungsteams … durch Detailkenntnis und Kompetenz geholfen. Wir halten deren Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern auch in der Zukunft für unerlässlich und wünschen uns, dass der Bund hier auch künftig seinen finanziellen Beitrag leistet. Das ist eine sehr eindeutige Aussage. Leider gibt es noch keine Antwort von der Bundeskanzlerin. Ich hoffe, sie will nicht abwarten, ob die NPD am 17. September in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einzieht, um dann gegebenenfalls hektisch zu reagieren. Ich hoffe ebenfalls, die Bundesregierung findet rechtzeitig Lösungen für die Strukturprojekte, damit sie sich ganz auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können und nicht länger als Bittsteller von Tür zu Tür laufen müssen. So viel sollte unsere Demokratie uns allen wert sein. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen sich für unsere Demokratie einsetzen. Auch die Politik muss ihre Aufgaben erledigen. Wir haben jetzt die Chance, Zivilcourage nicht nur moralisch, sondern auch finanziell zu unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Frank Spieth [DIE LINKE])

[Redemanuskript]

 

[zurück]