Studie "Die enthemmte Mitte - rechtsextreme und autoritäre Einstellung in Deutschland"

Bund-Länder-Europa Treffen gegen Rechtsextremismus am 28. November 2016

Das Bund-Länder-Europa-Treffen fand am 28.11. von 11.30 – 16.00 Uhr im Deutschen Bundestag statt [Einladung lesen].

Protokoll

Wie weitreichend sind die Probleme mit Rassismus, Entsolidarisierung und Demokratieaushöhlung in Deutschland? Mithilfe der Ergebnisse der aktuellen Mitte-Studie wollten wir unser Bild davon konkretisieren und schärfen.

Zu Beginn umriss der grüne Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter die aktuelle gesellschaftliche Situation, die er als extrem schwierig bezeichnete. Denn neben der Bekämpfung von Rechtsextremismus geht es heutzutage darum, ob liberale Positionen überhaupt mehrheitsfähig bleiben, auch international.

Donald Trump wurde mit rechtspopulistischen Meinungen zum Präsidenten gewählt, Marine Le Pen hat mit ebensolchen Ressentiments in Frankreich gute Chancen, ihr Gegenkandidat steht sogar noch weiter rechts als sie. In Österreich verfehlte der Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ Norbert Hofer zwar mittlerweile den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen, konnte aber mit 46,2 Prozent fast die Hälfte aller WählerInnen hinter sich vereinen.

Wie kommt es dazu, dass Menschen rechtspopulistischen Positionen zustimmen? Und warum geben selbst Leute, die keine RechtspopulistInnen sind, solchen KandidatInnen ihre Wahlstimmen?
Weil mit liberaler Politik, dem Einsatz für Minderheitenrechte, übertrieben würde und die Leute sich nicht mehr vertreten fühlten, schlügen sie nun zurück, so die rechte Deutung. Von linker Seite sind Argumentationen zu hören wie, dass man sich zwar um die Rechte der Schwulen kümmere, die sozialen Probleme im Land aber ignoriere.

Hofreiter mahnte zur Standhaftigkeit, die Reaktion auf derartige Angriffe darf kein Zurückzucken und Verraten eigener Positionen sein. Kulturelle und soziale Fragen sollten bei der Ursachenforschung zu rechtspopulistischen Wahlergebnissen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es geht nicht um "entweder-oder", sondern um "sowohl-als auch". Hier ist es wichtig, präzise zu sein. Denjenigen Menschen, die aus sozialen Ängsten heraus weit rechts wählen, soll man ein gutes Lösungsangebot machen. Zudem kann es auch Überschneidungen geben, so haben manche sowohl ausländerfeindliche Ressentiments als auch soziale Ängste.

Wünschenswert ist es, viele Verunsicherte ins demokratische Lager zurückzuziehen.
Allerdings dürfen dabei die Rechte für Minderheiten niemals zur Debatte gestellt werden. Vielmehr müssen wir sie noch klarer als bisher verteidigen.

Dem politischen Blick folgte ein wissenschaftlicher. Dr. Oliver Decker von der Universität Leipzig erläuterte zentrale Befunde der Mitte-Studie "Die enthemmte Mitte - rechtsextreme und autoritäre Einstellung in Deutschland", die im Juni 2016 herauskam. Die Mitte-Studie ist eine repräsentative Erhebung zu politischen Einstellungen in Deutschland. Das Forschungsprojekt läuft seit 2002, alle zwei Jahre werden Ergebnisse veröffentlicht.
 
Decker beschrieb zunächst den Begriff der "Mitte" als einen nicht klar zu lokalisierenden, mythischen Ort in der Gesellschaft, den jede Partei zu erreichen versuche. Der Begriff entwickelte sich aus dem Anspruch Willy Brandts, eine neue Mitte zu repräsentieren. Zugrunde liegt der Wunsch nach dem Krieg, die Idee vom durch Abstammung definierten Volk aufzugeben.

Auf der horizontalen Achse befindet die sog. Mitte sich im Bereich von politischem Maß und Mäßigung, auf der vertikalen ist sie ein gesellschaftlicher Ort zwischen oben und unten. Sie stellt für die Politik ein Durchgangsstadium mit Legitimationsfunktion dar. Somit ist die Mitte heute zum Kampfbegriff geworden. Die aktuellen Studienbefunde zeigen eine Legitimationskrise an.

Die Mitte-Studie beleuchtet den Rechtsextremismus in Deutschland. Dabei geht sie von einer dualen Definition aus: Es gibt die Einstellungsebene (rechtsextremes Weltbild) und die Verhaltensebene (Wahlverhalten, Mitgliedschaften, Provokationen, Gewalt).

Die rechtsextreme Einstellung wird anhand von sechs Dimensionen untersucht:
1) Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur,
2) Chauvinismus,
3) Ausländerfeindlichkeit,
4) Antisemitismus,
5) Sozialdarwinismus,
6) Verharmlosung des Nationalsozialismus.
Diese Haltungen werden erfragt und mit den Vorjahren verglichen. So lassen sich gesellschaftliche Trends verdeutlichen. 

Demnach hat die generalisierte Abwertung von MigrantInnen abgenommen. Stattdessen ist die Nützlichkeitsorientierung gewachsen. Teile der Bevölkerung sehen in einer reglementierten Zuwanderung positive Aspekte, beispielsweise im Hinblick auf den Fachkräftemangel.

Im Gegenzug hat sich jedoch die Abwertung gegenüber ausgewählten Gruppen verstärkt. Dies gilt insbesondere für Menschen mit muslimischem Hintergrund (tatsächlichem oder vermutetem), Sinti und Roma, AsylbewerberInnen und Homosexuelle.

Es gibt auffällige Zusammenhänge zwischen rechtsextremen Einstellungen und Parteipräferenzen. Der größte Teil derjenigen, die rechtsextremen Positionen zustimmen, präferiert zugleich die AfD, gefolgt von den Nicht-WählerInnen und denen, die unsicher sind, ob sie wählen gehen. Offenkundig liegt das Wahlpotenzial der AfD noch wesentlich höher, als sie es bisher nutzen konnten.

Die Anzahl der rechtsextrem Eingestellten in der Bevölkerung nimmt nicht signifikant zu, stattdessen kam es zu einer stärkeren Polarisierung und Radikalisierung derjenigen, die bereits rechtsextrem denken.

Es ist ein Zusammenhang zwischen dem Vertrauen in die Verfassungsinstitutionen und der Gewaltbereitschaft darstellbar. Auf der einen Seite ist 2016 die Zustimmung zu Gesellschaftsinstitutionen gewachsen, auf der anderen Seite gibt es zwar weniger antidemokratische Milieus, diese sind aber mehr als bisher bereit, selbst Gewalt anzuwenden. In diesem Milieu ist eine weitreichende politische Delegitimation vorherrschend. Es handelt sich ca. um ein Zehntel der Bevölkerung.

Diese Legitimationskrise in Teilen der Bevölkerung ist mit einer Art Kulturkampf verbunden. Decker beschreibt einen sekundären Autoritarismus.

Wir leben in einer Gesellschaft mit abstrakter Autorität, und zwar dem Primat der Ökonomie. Es wird in Kauf genommen, dass dies auf Kosten der Einzelnen geht. Dadurch wächst ein Bestreben nach Entschädigung durch Teilhabe an der Macht der (ökonomischen) Autorität. Die somit erfolgende Identifikation mit Macht und Größe bringt Aggressionen hervor. Diese werden auf Projektionsflächen gerichtet wie Sinti und Roma (werden als kriminell verortet, halten sich nicht an die Regeln), Muslime (sind die grundsätzlich anderen) oder Asylbewerber (welche vermeintlich die Errungenschaften unserer Ökonomie bedrohen).

Die vielfach vorgebrachte politische Rede von der Alternativlosigkeit (der Markt verlange das) ist schädlich und befördert diese Dynamik.

Decker illustrierte seine Ausführungen mit einer Präsentation, die hier nachlesbar ist: [Präsentation zur Studie "Die enthemmte Mitte - rechtsextreme und autoritäre Einstellung in Deutschland"]

Danach diskutierten die Anwesenden über die Befunde.

Zunächst wurde klargestellt, dass es parallel zwei "Mitte-Studien" gibt, was mitunter Verwirrung auslöst. In den Jahren 2006 bis 2012 kooperierten Uni Leipzig und die Friedrich-Ebert-Stiftung miteinander beim Erstellen der Studie. Dabei entwickelten sich unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche Schwerpunkte gesetzt werden sollten. Dies führte zur Aufspaltung in zwei Studien. Parallel wurden auch von Prof. Heitmeyer Untersuchungen zu politischen Einstellungen durchgeführt.

Decker begrüßt grundsätzlich, dass es mehr als eine Studie zu diesem wichtigen Themenfeld gibt. Man kann sich damit gegenseitig in den Ergebnissen und Trends bestätigen. Ungünstig findet er nur die Namenssituation, da zweifach von "Mitte-Studie" die Rede ist. Nachdenkenswert scheint ihm daher der Ansatz, sich künftig wenigstens jahreweise abzuwechseln.

Wissenschaftlich interessant sind die Vergleichsstudien dennoch. Die Leipziger Mitte-Studie (Brähler/Decker) weist 2016 etwas höhere Zustimmungswerte aus als die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Dies lässt sich mit der unterschiedlichen Methodik gut begründen. Die Studie von Brähler/Decker arbeitet mit Face-to-face-Interviews. Geschulte InterviewerInnen führen Zufallsstichproben durch. Dabei kann der Bildungsgrad der Interviewenden das Antwortverhalten beeinflussen. Je gebildeter dieser wahrgenommen wird, desto geringer wäre die Bereitschaft, rechtsextrem zu antworten. Deshalb arbeitet man mit Fragebögen zum Ausfüllen, die in verschlossenem Umschlag zurückgegeben werden. Die Antworten sind somit anonym. Die FES hingegen nutzt die telefongestützte Befragung. Dabei gilt die Offenbarungsbereitschaft als geringer, die soziale Erwünschtheit als höher.

Einige Grüne berichten von ihren Erfahrungen vor Ort. Es ist mehr Gegenwind als früher spürbar, auch innerhalb der "Mitte" gibt es Ressentiments, nicht nur in einschlägigen rechtsextremen Milieus. Das Thema der sozialen Ungleichheit scheint etliche zu beschäftigen, auch zu verbittern. BürgerInnen äußern Befürchtungen, dass das soziale System zusammenbrechen könnte. In manchen Regionen steht aber auch "der Islam" im Zentrum von Debatten.

Als spannend wird Deckers Analyse zum autoritären Charakter der Ökonomie empfunden. Dass Menschen sich (scheinbaren) ökonomischen Sachzwängen zwar unterwerfen, aber dies mit Abwertung anderer ausgleichen, muss in Bezug auf politische Strategien diskutiert werden. 

Gedanken müsse man sich auch machen um die Debatte zur "political correctness", die immer mehr zum rechtspopulistischen Kampfbegriff wird. Es besteht die Gefahr, dass solche Themen unwidersprochen den Resonanzraum für Rechtspopulismus immer mehr weiten. Spielt die These vom "angry white man" auch für Deutschland eine Rolle? Haben heterosexuelle weiße Männer Angst, durch linke Politik ihre Privilegien zu verlieren? Könnten in diesem Fall postmigrantische Erfolge deren Ressentiments sogar verstärken?

Politische Chancen ergeben sich aus dem Studienbefund der Polarisierung, denn diese hat ja zwei Seiten. Positiv ist, dass ein wachsendes Milieu bereit scheint, sich für eine offene Gesellschaft einzusetzen. Anscheinend wird einer größeren Anzahl von Menschen klar: Es geht hier um etwas Wesentliches, das unsere Art zu leben grundsätzlich betrifft. Auf dieses Potenzial sollten die Bündnisgrünen stark setzen.
In dem Zusammenhang kann man auch fragen: Woran liegt es, dass die mit der Demokratie zufriedene größere Menge doch häufig recht still erscheint?

Decker greift einige Gedanken auf und betont, dass man Einstellungen vor dem Hintergrund von politischen Auseinandersetzungen, Interessen und Verteilungskämpfen bewerten müsse. Hierzu sei die Medienberichterstattung leider auch tendenziös und Politik muss sich fragen: Wie können wir darauf klarstellend reagieren, ohne in den "Lügenpresse-Kanon" einzustimmen?
Als sehr problematisch sieht Decker die Verlagerung von Entscheidungen aus den Parlamenten in die Verwaltungen, die nicht demokratisch legitimiert sind, an. Dies höhle das Vertrauen in die Demokratie weiter aus. Die immer wieder angestrebte Verkleinerung von Parlamenten sei der falsche Weg. Auch hier müsse die Ideologie der Alternativlosigkeit hinterfragt werden.

Zum sekundären Autoritarismus ergänzt Decker, in Deutschland sei der Identifikationspunkt vor allem die wirtschaftliche Stärke, das gelte in Ost wie West. Zu beachten sei dabei, dass individuelle Deprivation nicht automatisch zu rechtsextremem Wahlverhalten führe, manche Studien zeigen sogar einen negativen Zusammenhang. Entscheidend sei die kollektive Deprivation. Je schlechter die nationale ökonomische Lage insgesamt erwartet wird, desto mehr werde rechtsextrem gewählt.

Faktisch habe eine fortschreitende Zivilisierung stattgefunden: mehr Kinderrechte, z.B. das Züchtigungsrecht für Kinder abgeschafft, ebenso die Strafbarkeit der Homosexualität usw. – jedoch sei zu fragen: Wie viele Menschen in der Bevölkerung identifizieren sich damit? Die Diskrepanz zwischen Gesetzgebung und Identifikation muss beachtet werden.

Decker sagt für die nächste Zeit aggressive, stark akzentuierte Wahlkämpfe voraus. Er empfiehlt, trotz allem mit denen, die AfD wählen wollen, zu sprechen. Dies müsse in einer Art geschehen, durch die die eigene Stammwählerschaft nicht verprellt wird. Es gibt Ansatzpunkte für solche Diskurse. Ein AfD-Demonstrant etwa möchte ja nicht grundsätzlich die offene Gesellschaft und die Freiheitsrechte abschaffen, er will sie nur für einige andere einschränken, nicht für sich selbst. Hier kann man ihn argumentativ stellen.

Als prinzipiellen Denkanstoß erinnert Decker an die These von Richard Stöss, der meint: Es gibt keinen Rechtspopulismus, dies ist nur eine Methode von Rechtsextremen, ihre Positionen moderater zu kommunizieren. Populismus arbeitet mit der Vereinfachung "die da oben, wir hier unten" (wir, nämlich "das Volk"). So werden dann rassische Konzepte á la Höcke und Co. transportiert und Diskurse darüber entfacht, wer als Deutscher gelten darf. Rund 40 Prozent sagen: wer deutsche Vorfahren hat. Pegida vertritt nach außen kulturalistische Konzepte, die sich bei näherem Hinsehen letztlich doch als rassistische erweisen.
Gesagt wird: Kulturen lassen sich nicht vermischen. Gemeint ist: die Volksgemeinschaft wird sonst verunreinigt (Rassismus).
Deshalb braucht es gute Bildung, schon in den Schulen. Es gilt immer zu fragen: Was ist tatsächlich gemeint, was ploppt im Hintergrund mit auf?
Deckers Anregungen führen zu der Frage, wie man die Erkenntnisse aus solchen Studien an die Leute und die Medien bekommt. Da der Begriff "Volk" in der Verfassung und an vielen anderen Stellen auch offiziell verankert ist, kann eine Trennschärfe mitunter schwerfallen.

Decker merkt an, dass die Hegemonie vor Ort ein wichtiger Faktor ist. Rechte werden vielerorts auch selbst zivilgesellschaftlich wirksam, beispielsweise mit Bürgerinitiativen. Man muss dann schauen, wie man die demokratischen Kräfte stark macht, um die lokale Hegemonie zu übernehmen.

Mit Verweis auf die Studie wird angeregt, auch die rechtsextremen Konzepte des "Genderwahns" mit zu beleuchten. Decker entgegnet, dass er dies sehr gern erheben würde, es jedoch vor allem eine Ressourcenfrage sei. Sie hätten aber auch schon überlegt, beim nächsten Mal das Thema der hegemonialen Männlichkeit mit zu untersuchen. Er nehme den Hinweis daher gern mit.

Als Monika Lazar darauf verwies, dass mit Blick auf die Uhrzeit die sehr anregende Diskussion beendet werden müsse, entgegnete Decker augenzwinkernd: "In der Ökonomie der Zeit lösen sich alle anderen Ökonomien auf."

Zum Abschluss führte er aus: Die meisten Menschen identifizieren sich mit ökonomischer Größe und Stärke, nicht aber mit demokratischer Verfasstheit. Er empfahl der Politik, auf neue Art Demokratie als Identifikationsmöglichkeit anbieten, als ein Gegengewicht zum Kapitalismus. Das funktioniere aber nicht als Projektwoche oder Feierstunde. Es brauche eine Demokratisierung von Institutionen, in und mit denen wir leben. Die meisten seien bislang nicht demokratisch verfasst, sondern funktionierten selbst autoritär. Man könne beispielsweise damit beginnen Universitäten und Schulen zu demokratisieren. So würden die Menschen im Bildungsbereich die Erfahrung machen, mit ihrer Meinung direkt etwas bewirken und mitgestalten zu können.

Nach Ende der Diskussion informierte Monika Lazar darüber, was sich in den Haushaltsberatungen für 2017 in Bezug auf die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus ergeben hat.

Langjährige grüne Forderungen wurden aufgegriffen und teilweise sogar übertroffen. Die Mittel im Programm "Demokratie leben" sind mehr als verdoppelt worden und belaufen sich 2017 auf 104,5 Millionen Euro. Damit einher geht eine finanzielle Stärkung der Opferberatung, die pro Bundesland jährlich mindestens 120.000 Euro erhalten sollen. Entscheidend wird sein, dass die neuen Mittel sinnvoll eingesetzt werden und kompetenten zivilgesellschaftlichen Trägern zugutekommen. Hier sind die Länder in der Verantwortung, da die Mittel über deren Demokratiezentren ausgereicht werden. 
Das Programm "Zusammenhalt durch Teilhabe" wurde bereits im vergangenen Jahr finanziell verdoppelt auf 12 Millionen Euro. Das geschah im Zuge der Ausweitung vom Osten auf alle Bundesländer.
Als positiv einzuschätzen sind auch Vernetzungsbestrebungen zwischen den beiden beteiligten Ministerien BMFSFJ und BMI, die einen gemeinsamen Kongress durchführten, auf dem die beiden MinisterInnen sprachen.
Zudem versucht innerhalb der Koalition zumindest die SPD, noch in dieser Wahlperiode eine gesetzliche Grundlage für eine dauerhafte Finanzierung zu schaffen.

Diese Signale vom Bund sind gut, dennoch bleiben weiterhin Problempunkte und offene Fragen. So erhält die Opferberatung zwar mehr Geld vom Bund, aber es bleibt abzuwarten, was die Länder damit machen und ob sie mit ihrer Förderung ebenso nachziehen (können).
Im Programm Zusammenhalt durch Teilhabe werden überwiegend große, ohnehin gut ausgestattete Vereine und Landessportbünde gestärkt, während kleine Träger mit frischen Ideen oft außen vor bleiben.
Auch die Nachhaltigkeit der Förderung bleibt ein Anliegen. Dazu liegt ein sog. Demokratiegesetz im Kanzleramt vor. Das Bundesinnenministerium vertritt jedoch die Meinung, das aktuelle Haushaltsgesetz würde genügen, eine Neuausrichtung der Förderung sei nicht erforderlich. Es wäre jedoch aus zivilgesellschaftlicher wie grüner Sicht wichtig, die Finanzierung endlich langfristig auszurichten und eine Verstetigung unabhängig von politischen Regierungswechseln zu sichern.

Schließlich folgte noch der übliche Austausch von Neuigkeiten und Entwicklungen aus den einzelnen Ländern.

In Sachsen-Anhalt sitzt die AfD mit 25 Prozent im Landtag und besitzt damit qualifizierte Minderheitenrechte im Parlament. Mit Schauprojekten wie einer "Enquetekommission Demokratie" beschäftigt und lähmt sie den politischen Betrieb und versucht, ihren populistischen Demokratiebegriff zu bewerben.
Die Debattenkultur der AfD ist sehr schlecht. Sie versucht zum Beispiel, auf die Schulbildung einzuwirken, indem sie Lehrerinnen und Lehrern, die über AfD-Positionen aufklären, Unterlassungsklagen androhen. Das birgt die Gefahr, dass das Lehrpersonal künftig aus Angst vor Konsequenzen keine politische Bildung mehr durchführt.
Die Koalition ist nicht handlungsfähig. Insbesondere die CDU signalisiert ständig Offenheit nach rechts in Richtung der AfD.
Es besteht Sorge, ob die Bündnisgrünen in Ostdeutschland den Kulturkampf gegen die AfD überhaupt gewinnen können. Weder auf rechtsstaatlicher noch politischer Ebene wird dem Rechtspopulismus entschieden und klar genug entgegengetreten.
Vielmehr ist auf fast allen Ebenen vorauseilender Gehorsam zu beobachten.

In Sachsen sieht die Lage ebenfalls sehr bedenklich aus. Es gibt eine Menge strukturellen Rechtsextremismus. Kameradschaften und andere hart rechtsextreme Gruppen treten offen auf. Sächsische Neonazis verknüpfen sich mit kriminellen Milieus. Sogar die sächsische CDU gibt mittlerweile zu, dass es ein Rechtsextremismus-Problem gibt, und stellt Biedenkopfs bekannten Ausspruch, dass der Sachse immun gegen Rechtsextremismus sei, in Frage.
Trotzdem fehlt es an Konsequenz. So gab es bei den Programmen gegen Rechts in Sachsen zwar keine Kürzungen im aktuellen Haushaltsverfahren, aber dafür das Bestreben, mehr in Richtung "Extremismus", auch Islamismus zu fördern. Die Hauptgefahr von rechts wird so immer wieder relativiert.
Die rechtsextreme Terrorgruppe Freital verübte Anschläge auf Asylsuchende und politisch Andersdenkende. Trotz der jahrelangen Aufarbeitung der Pannen rund um den NSU haben die Behörden anscheinend nicht viel dazu gelernt. Denn wieder hatte der Verfassungsschutz schon seit 2015 Erkenntnisse und hätte die Terrorzelle längst hochgehen lassen können. Wieder werden Ermittlungsfehler vertuscht.
Die AfD tritt subversiver auf als in Sachsen-Anhalt. Sie täuscht Parlamentarismus vor. So wurden beispielsweise im aktuellen Haushaltsverfahren 100 Änderungsanträge durch die AfD gestellt. Auch brachte die Fraktion 630 Fragen zum Rundfunk ein, die zwar unter ParlamentskollegInnen mit Belustigung aufgenommen, aber von vielen BürgerInnen positiv bewertet wurden. Eine argumentative Demaskierung der AfD interessiert die sächsische Bevölkerung kaum. Das muss man ernüchtert konstatieren.

In Brandenburg wurden die Mittel für das Landesprogramm "Tolerantes Brandenburg" durch die Koalition erhöht, das ist positiv.
Der Leiter des Verfassungsschutzes beklagt, seine Behörde sei nicht mehr handlungsfähig, brauche mehr Mittel und Personal. Die rot-rote Landesregierung will hier moderat erhöhen. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hat sich zur Wahl für die Parlamentarische Kontrollkommission gestellt und wird nun öffentlich zur Verfassungstreue befragt.
Eine solide parlamentarische Kontrolle der Verfassungsschutzämter ist unverzichtbar. Immer wieder gerät der Verfassungsschutz ins Zwielicht. Kürzlich formulierte Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg öffentlich den bereits früher schwelenden Verdacht möglicher Verwicklungen und Verstrickungen des Inlandsgeheimdienstes mit dem nie aufgeklärten Anschlag auf die Trauerhalle des Jüdischen Friedhofs in Potsdam und anderen Straftaten der mysteriösen "Nationalen Bewegung". Der Vorgang betrifft die Amtszeit des früheren CDU-Innenministers Jörg Schönbohm. Bei der Aufklärung wird seit Jahren gemauert.

Untersuchungen zum Komplex Verfassungsschutz führte auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags seit dem Sommer. Jedoch sind die meisten relevanten Informationen eingestuft und somit nicht öffentlich zitierfähig. Auch öffentliche Vernehmungen können häufig nicht durchgesetzt werden.
Das Ende der Beweisaufnahme dieses Ausschusses ist für März 2017 vorgesehen.
Für eine von der Zivilgesellschaft angeregte Anhörung zum Umsetzungsstand der Empfehlungen des vorherigen NSU-Untersuchungsausschusses wird die Zeit vermutlich nicht genügen. Wir werden von grüner Seite jedoch eine intensive Auseinandersetzung mit diesen Empfehlungen bei der Arbeit zum Abschlussbericht anmahnen.

Im Thüringer Landtag plant der NSU-Untersuchungsausschuss im kommenden Jahr, sich die Verstrickungen von NSU und organisierter Kriminalität näher anzusehen.
Erleichtert ist man im Thüringer Parlament darüber, dass demnächst keine Wahlen anstehen, denn laut Umfragen könnte die AfD aktuell 21 Prozent erzielen, die Grünen lägen bei 6 Prozent.
Die Ahmadiyya-Gemeinde plante in Erfurt den Bau einer Moschee. Daraufhin gab es Angriffe auf den Imam und Bedrohungen gegen seine Familie.
Die sog. 1-Prozent-Bewegung spielt eine zunehmend sichtbare Rolle. Es gibt offenkundig persönliche Beziehungen zwischen deren Akteuren und AfD-Leuten. 

Auch in Mecklenburg-Vorpommern gewinnt die AfD an Boden. Wie sie sich im Landtag verhalten wird, bleibt noch abzuwarten. Deutlich ist aber jetzt schon, dass die CDU Probleme hat, sich nach rechts klar von der AfD abzugrenzen. Innenminister Caffier hat in populistischer Manier ein Burkaverbot gefordert. Der ursprüngliche CDU-Justizministerkandidat Sascha Ott wurde zurückgezogen, weil er eine AfD-Seite geliked hatte.
Die AfD weiß regionale Probleme gut für ihre Zwecke zu nutzen. So holte sie etwa Direktmandate, indem sie die Schließung einer Geburtenstation in Wolgast anprangerte.
In Rostock hat die als rechtsextrem eingestufte Identitäre Bewegung ihre Bundeszentrale eröffnet.

Zum Angriffsziel der Identitären wurde kürzlich auch die Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin. Mitglieder der Identitären waren auf den Balkon des Gebäudes geklettert und hatten ein großes Plakat an der Hauswand entrollt. Kurz vor dem grünen Parteitag postete ein grünes Fakemitglied über soziale Netzwerke die Forderung, alle Grenzen zu öffnen. Während des Bundestagswahlkampfes ist mit weiteren derartigen Angriffen zu rechnen. Hier gilt es, vorbereitet zu sein.

Eine Landtagswahl steht im kommenden Mai in Schleswig-Holstein an. Die AfD liegt dort aktuell bei 6 Prozent. Sie ist intern zerstritten, die Kandidaten verklagen sich gegenseitig. Da Beatrix von Storch familiäre Wurzeln in Schleswig-Holstein hat, rechnet man damit, dass sie im Wahlkampf eine starke Rolle spielen könnte.
Verschiedene Kräfte sind aktiv, um ein Gegengewicht zu schaffen. Es findet ein großer Kongress zum Thema offene Gesellschaft statt. Die Programme gegen Rechts wurden um 100.000 Euro aufgestockt, in fünf Regionen gibt es davon dezentrale Beratungsstrukturen.
Daneben gilt der Auftrag, für die offene Gesellschaft einzustehen, bis in die grünen Kreisverbände hinein. Themen wie Burkaverbot oder Asylunterkünfte in Naturschutzgebieten sind auch hier durchaus umstritten.

In Berlin wurden die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen, die rot-rot-grüne Regierung steht – mit viel grün drin. Wir haben mehrere Felder besetzt: Verkehr, Justizsenator, VerbraucherInnenschutz und Antidiskriminierung.
Doch auch im Berliner Abgeordnetenhaus ist die AfD stark vertreten. Sie konnte mehrere Direktmandate gewinnen, u.a. in Lichtenberg. Sie in jedem Bezirk dabei, auf kommunaler Ebene, und stellt in sieben Bezirken einen Stadtrat.

In Bremen fand vor einigen Wochen der erste große Brandanschlag auf eine Asylunterkunft statt. Die AfD hat ein aktuelles Wählerpotenzial von 10-15 Prozent. Größere rechte Demonstrationen sind bislang nicht zu beobachten.
Beim Verfassungsschutz hat der Leiter gewechselt, seitdem wird mehr gemauert, der Informationsfluss gestaltet sich plötzlich schwierig.

Auch bei der Amadeu Antonio Stiftung gehört der Umgang mit der AfD zu den dominierenden Themen, wie überhaupt in der engagierten Zivilgesellschaft. Es ist mitunter kompliziert, gegen die juristisch klagefreudige AfD Position zu beziehen.
Ein brisantes Problem ist auch der Hass im Netz. Dieser bleibt nicht mehr virtuell, sondern zieht Taten nach sich, z.B. über die Bildung von Bürgerwehren.
Dabei kommt der Hass neuerdings von Menschen, die bisher unpolitisch waren.
Die Auseinandersetzung mit Hass ist keine Einschränkung der Meinungsfreiheit und muss entschieden geführt werden.

Klare Position zu beziehen und dabei gut zu argumentieren ist in den anstehenden Wahlkämpfen entscheidend.
In diesem Zusammenhang gibt es hilfreiche Angebote der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS):

Bei der Landesstiftung "Weiterdenken" wurde ein Kompetenzzentrum eingerichtet. Es soll Kompetenzen bündeln und Beratung bieten.
Dabei entstand die [Publikation "Die parlamentarische Praxis der AfD in den Kommunalparlamenten Sachsens"].

In Planung ist die Entwicklung eines Fortbildungsangebots zum Umgang mit der AfD vor Ort.

GreenCampus bietet [Rede- und Argumentationstrainings] an.

In der Entwicklung befindet sich zudem ein webinar zum Argumentieren gegen rechte und rassistische Propaganda, dies soll vor der Sommerpause 2017 mindestens zweimal angeboten werden.

Weitere [Bildungsveranstaltungen zum Umgang mit Hate Speech, Counterspeech] usw. werden im Zusammenhang mit den Angeboten zur Bundestagswahl im Auftrag von Bündnis 90/Die Grünen erstellt.

Auch hilfreich kann diese [Seite der Petra-Kelly-Stiftung] sein.

Weiterführende Informationen zur Mitte-Studie:
[Pressemitteilung Monika Lazar]
[Zusammenfassung der Ergebnisse 2016]
[Gesamte Studie 2016]