Monitoring rechter Gewalt und solide Bundesförderung gegen Rechtsextremismus

Bund-Länder-Europa Treffen gegen Rechtsextremismus am 21.10.2019

Kurzprotokoll

Das Bund-Länder-Europa-Treffen fand am 21.10. von 11.30 – 15.30 Uhr im Deutschen Bundestag statt [Einladung lesen].

Alle acht Wochen wurde seit der Wiedervereinigung ein Mensch durch rechte Gewalt getötet. Seit 2009 gab es 15.419 Betroffene rechter Gewalt. In zwei Dritteln aller Fälle ist Rassismus das Tatmotiv und damit statistischer Schwerpunkt rechtsextremer Übergriffe. Diesen Befund liefert das bundesweite Monitoring unabhängiger Opferberatungsstellen, das unser Referent Robert Kusche, Geschäftsführer der RAA Sachsen und Vorstandsmitglied im Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG), vorstellte. In seinem Vortrag erläuterte er, dass die Zahlen der unabhängigen Opferberatungsstellen regelmäßig höher sind als die offiziellen Zahlen des BMI. Zu den Gründen gehört, dass Betroffene rechter Gewalt, insbesondere aus bestimmten Gruppen wie Sinti und Roma, Wohnungslose oder Menschen mit Behinderungen, selten Anzeige erstatten (underreporting). Das liegt unter anderem daran, dass Menschen mit Migrationshintergrund, die aufgrund von Rassismus überdurchschnittlich häufig Opfer werden, weniger in die Sicherheitsbehörden vertrauen. Wenn es doch zur Anzeige kommt, werden aufgrund eines noch immer eklatanten Wahrnehmungsdefizits bei den Sicherheitsbehörden rassistische Tathintergründe oft verkannt, gar nicht erfragt und nicht als solche erfasst (underrecording).  

Robert Kusche mahnte an, bei der Erfassung rechter Gewalt die Betroffenenperspektive viel stärker einzubeziehen. Opfer können nach tätlichen Angriffen häufig Auskünfte über flankierende Äußerungen geben, die auf rassistische Tatmotivationen schließen lassen. Zudem erleben Betroffene nicht nur körperliche Übergriffe als Gewalt, sondern auch verbal verletzendes Verhalten und Massenzuschriften mit Hass-Botschaften.

Er regt deshalb einen ganzheitlichen Ansatz für die Dokumentation von Straftaten an. Hierzu gehören Verbesserungen bei Sensibilisierung und Training für die Polizei. Darüber hinaus müssen unbedingt die Erhebungssysteme überarbeitet werden. So könnten etwa automatisierte Systeme dazu führen, dass dem Opfer bestimmte Fragen zur vermuteten Tatmotivation standardmäßig gestellt werden, wie es etwa in Großbritannien gehandhabt wird. Außerdem bedarf es einer besseren Finanzierung des unabhängigen Monitorings durch zivilgesellschaftliche Beratungsstellen. Regelmäßige Viktimisierungs- und Dunkelfeldstudien können zudem ein realistischeres Lagebild ermöglichen.

Weitere Informationen und statistische Details sind in der Vortragspräsentation von Robert Kusche zu finden.

In der nachfolgenden Diskussion gab es Übereinstimmung dazu, dass die Opferperspektive stärker Berücksichtigung finden muss. Auch wurde festgestellt, dass im Bereich Rechtsextremismus nur NGOs Nötigung und Bedrohung als Delikte rechter Gewalt erfassen.

Entscheidend auch Zeitpunkt der Erfassung. Die Polizei leitet ihre Zahlen zur Bearbeitung an die Justiz weiter. Dort ergeben sich durch weitere Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft zusätzliche Daten, wie es z.B. bei den Ermittlungen zum NSU deutlich wurde. Deshalb fordert die grüne Bundestagsfraktion eine Verlaufsstatistik.  

Das Dunkelfeld ist stark beeinflusst von der Bereitschaft zur Wahrnehmung bei den Sicherheitsbehörden. Nach den Verbrechen des NSU etwa haben die Angehörigen der Opfer jahrelang vergeblich eine Untersuchung rassistischer Motive angemahnt. Sie wurden aber nicht gehört, im Gegenteil: Manche mussten sogar die Erfahrung machen, selbst in den Verdacht zu kommen, Täter aufgrund von Familienkonflikten zu sein.

Auch zivilgesellschaftliche Initiativen beklagen, dass es viel zu wenig Unterstützung für die Opfer und ihre Angehörigen gibt. Nicht nur einzelne Betroffene, sondern ganze Communities können durch rassistische Botschaftstaten traumatisiert und verängstigt sein. Das zeigt sich immer wieder in der Beratung von Betroffenen vor Ort.

Vor diesem Hintergrund wird auch die negative Entwicklung im Bundesprogramm „Demokratie leben“ angeprangert. Dort wurde in der vorigen Wahlperiode beispielsweise ein Monitoring antiziganistischer Straftaten erstmals gefördert. Diese Arbeit ist zum Jahresende massiv gefährdet, weil nach aktuellem Stand diese Projekte ab 2020 keine Förderung mehr erhalten werden.

Die häufig prekäre und unzuverlässige Finanzierung von Initiativen verhindert, dass sie ihre Arbeit lokal besser verankern, ausbauen und vernetzen können. Das erhöht ebenfalls die Dunkelziffer rechter Gewalt. Denn wenn ein Projekt keine Ressourcen hat, sich selbst vor Ort bekannt zu machen, kann es auch keine Meldungen zu Gewaltvorfällen bekommen.

Im zweiten Vortragsteil erläuterte Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, die aktuellen Probleme im Programm "Demokratie leben".

Er erinnerte daran, dass vor vielen Jahren auf Initiative von Bündnis 90/Die Grünen unter Rot-Grün das erste Programm zur Förderung der Zivilgesellschaft gegen rechts beschlossen wurde. Seitdem hat das Programm mehrere Veränderungen unter den verschiedenen Bundesregierungen durchlaufen und ist aus Sicht der Zivilgesellschaft zunehmend verstaatlicht worden.

Angesichts der massiven Probleme mit Rechtsextremismus und Rassismus wurde die zunächst vorgesehene Kürzung für 2020 um 8 Millionen Euro ab 2020 mit Unverständnis aufgenommen. An dem Tag, als das rechtsextreme Attentat in Halle stattfand, nahm Ministerin Giffey die Kürzung dann medial zurück. Allerdings erfolgte diese Rücknahme nur für ein Jahr.

Große Schwierigkeiten verursacht die Umstrukturierung des Programms, die ab 2020 wirksam werden soll.

Es wird auf den aktuellen Brief zivilgesellschaftlicher Träger, deren Förderung abgelehnt wurde, hingewiesen. Er ist hier nachzulesen:

https://www.demokratie-mobilisieren.de/

Die grüne Bundestagsfraktion hat dazu diese Pressemitteilung herausgegeben:

https://www.gruene-bundestag.de/presse/pressemitteilungen/monika-lazar-und-ekin-deligoez-demokratiefoerdergesetz-jetzt

Danach gab es einen Austausch darüber, was in Bund und Ländern mit Bezug zum Rechtsextremismus gerade aktuell ist.

Monika Lazar wies auf einige Initiativen der grünen Bundestagsfraktion hin:  

Fraktionsbeschluss Grünes Maßnahmen-Programm: Rechtsextremen Netzwerken entschlossen entgegentreten: https://www.gruene-bundestag.de/files/beschluesse/beschluss-rechtsextreme-netzwerke.pdf

Antrag Rechtsextremen Netzwerken entschlossen entgegentreten: https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/140/1914091.pdf

Antrag Tödliche Gefahr durch Schusswaffen eindämmen: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/140/1914092.pdf

Kleine Anfrage Gefahr durch rechtsextreme und rechtsterroristische Strukturen in Deutschland 2019: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/137/1913702.pdf (Die Antwort ist bereits erfolgt und wird in Kürze unter der Bundestagsdrucksache 19/14274 veröffentlicht.)

Kleine Anfrage Nicht vollstreckte Haftbefehle als Gefahr für die innere Sicherheit 2019: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/104/1910482.pdf