Streit um Akten

Pressebericht, Das Parlament, 30.09.2019

DDR Bundestag verlängert Überprüfungen auf Stasi-Tätigkeit und billigt Konzept zur Zukunft der Stasi-Unterlagen

Politische Mandatsträger, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und andere Personen in herausgehobenen politischen und gesellschaftlichen Positionen sollen weiterhin auf eine offizielle oder inoffizielle Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR überprüft werden können. Der Bundestag verabschiedete den entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/11329) gemäß der Beschlussempfehlung des Kulturausschusses (19/13577) am vergangenen Donnerstag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, AfD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Lediglich die Linksfraktion votierte gegen die Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes.

Ebenfalls grünes Licht erteilte der Bundestag der Verschiebung der Aktenbestände der Stasi-Unterlagen-Behörde (BSTU) in den Verantwortungbereich des Bundesarchivs. Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP verabschiedete das Parlament gegen das Votum der AfD eine entsprechende Beschlussempfehlung des Kulturausschusses (19/12115), Linke und Grüne enthielten sich der Stimme. Damit billigt der Bundestag die Umsetzung des Konzeptes zur dauerhaften Sicherung und Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen.

Überführung ins Bundesarchiv Das Konzept (19/8201) hatte der Bundesbeauftragte für die Stasi -Unterlagen, Roland Jahn, zusammen mit dem Präsidenten des Bundesarchivs, Michael Hollmann, im Auftrag des Bundestages ausgearbeitet. Es sieht eine Verlagerung des Stasi -Unterlagen -Archivs in die Verantwortlichkeit des Bundesarchivs vor. Die Rekonstruktion der Akten soll ebenso wie die wissenschaftliche Aufarbeitung fortgeführt werden. Ebenso soll der Zugang zu den Akten für betroffene Bürger, Wissenschaftler und Journalisten auch weiterhin nach den Maßgaben des Stasi-Unterlagen-Gesetzes erhalten bleiben. Die Archivstandorte der BSTU in den Ost-Bundesländern sollen in jeweils einem Standort pro Land konzentriert werden. Zudem sieht das Konzept die Errichtung eines "Ortes deutscher Diktatur- und Demokratiegeschichte" auf dem Gelände der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg vor.

Mit der Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wird die Frist für Überprüfungen auf eine Stasi-Tätigkeit bis Ende 2030 verlängert. Ursprünglich wäre die Frist Ende dieses Jahres ausgelaufen. Mit Ausnahme der Linken schlossen sich alle anderen Fraktionen der Sichtweise der Bundesregierung an, dass "das gesellschaftliche Bedürfnis an der Überprüfung bestimmter Personengruppen ungebrochen fortbesteht und auch künftig andauern wird", wie es in der Gesetzvorlage heißt.

"Generalverdacht" Bei der Linksfraktion stößt dies allerdings auf Ablehnung. Deren kulturpolitische Sprecherin Simone Barrientos sagt, mit der andauernden Überprüfung auf eine Stasi-Tätigkeit würden die Ostdeutschen unter einen "Generalverdacht" gestellt. Betroffen seien "all die, die in der DDR gelebt haben und bis 1971 dort geboren wurden. Das betrifft ehrenamtliche Bürgermeisterinnen genauso wie Mandatsträger oder Menschen, die eine höhere Laufbahn anstreben. Sie werden 2030 mindestens 59 Jahre alt sein, und es ist wohl anzunehmen, dass die Frist dann noch mal verlängert wird, damit einem auch ja keiner durch die Lappen geht, bevor sie dann endgültig Abschied nehmen von dieser Welt. Und es ist völlig egal, wie sie nach der Wende gelebt haben." Dies sei Ausdruck eines "arroganten Umgangs" mit den Ostdeutschen, der auch zur Spaltung der Gesellschaft beitrage, argumentierte die Parlamentarierin.

Monika Lazar (Grüne), ebenso wie Barrientos selbst in der DDR geboren und aufgewachsen, widersprach diesem Standpunkt: "Hier von einem Generalverdacht zu sprechen, der alle Ostdeutschen trifft und von Westdeutschen ausgesprochen wird, halte ich für verfehlt." Es sei der Sache nicht würdig, Ost und West gegeneinander auszuspielen. Das durch die Stasi verübte Unrecht durch "Überwachung, Zersetzung und Unterdrückung" hinterlasse bis heute seine Spuren und dürfe nicht vergessen werden. Deshalb sei die Überprüfung von Bewerbern für herausgehobene Ämter und Positionen auch weiterhin richtig, sagte Lazar.

Deutlich kontroverser als die Verlängerung der Überprüfungen debattierte der Bundestag die Verschiebung der Stasi -Akten in das Bundesarchiv. Die AfD-Fraktion lehnt dies kategorisch ab, sie hatte dazu eigens zusätzlich eine Aktuelle Stunde beantragt. Der kulturpolitische Sprecher, Marc Jongen (AfD), erhob massive Vorwürfe gegen die Koalition und die anderen Oppositionsfraktionen. Vor 30 Jahren hätten die Bürgerrechtler und Dissidenten der DDR dafür gekämpft, dass die Stasi-Akten nicht im Staatsarchiv der Bundesrepublik verschwinden, sondern dass sie in die Obhut eines unabhängigen Bundesbeauftragten gelangen, dass jeder DDR-Bürger die Möglichkeit erhält, seine Akte einzusehen und dass Wissenschaftler dort ungehindert forschen können. Doch ausgerechnet im 30. Jubiläumsjahr der Friedlichen Revolution würde die BSTU „heimlich, still und leise abgewickelt", kritisierte Jongen. Es dränge sich der Verdacht auf, dass "der Stift angesetzt werden soll zu einem Schlussstrich unter die Aufarbeitung der Verbrechen des SED-Regimes".

AfD-Antrag abgelehnt Tongens Rede sorgte bei allen anderen Fraktionen für Empörung und Unverständnis. Die kulturpolitische Sprecherin der Unionsfraktion Elisabeth Motschmann (CDU) bezeichnete sie als "unverantwortlich und unterirdisch" und die SPD-Kulturpolitikerin Budde befand lapidar, dass „schon lange nicht mehr so viel Unsinn aus so unberufenem Munde gehört" habe. Motschmann, Budde, der FDP-Kulturpolitiker Thomas Hacker, Monika Lazar (Grüne) und Simone Barrientos (Linke) stellten klar, dass der Zugang zu den Akten und ihre Aufarbeitung im Bundesarchiv viel eher verbessert werden sollen. Den Antrag der AfD zur Fortführung der BSTU in ihrer jetzigen Form (19/13529) lehnte der Bundestag in namentlicher Abstimmung mit 547 gegen 79 Stimmen ab.

Autor: Alexander Weinlein