Streit über Stasi-Akten

Pressebericht, Frankfurter Allgemeine, 27.09.2019

Bundestag beschließt Verlegung ins Bundesarchiv

pca. BERLIN, 26. September. Die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR sollen in Zukunft in die Obhut des Bundesarchivs übergehen und dort als Teil des Archivguts zur deutschen Geschichte betreut werden. Das hat der Bundestag am Donnerstag beschlossen. Zuvor hatten auf Antrag der AfD in einer Aktuellen Stunde Befürworter und Gegner dieses Vorhabens das Wort ergriffen.

Die mehr als 110 Kilometer Akten, 1,8 Millionen Fotos und Tausende Film- und Tonbandaufnahmen gehören derzeit zum Bestand einer eigenständigen Behörde unter der Leitung des Beauftragten für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn. Nach wie vor ist das Interesse der Bürgerinnen und Bürger groß, ebenso der Forscherdrang der Wissenschaft. Noch immer werden pro Monat etwa 4000 Anfragen auf Akteneinsicht beantragt. Die Akten sollen großteils an ihren Orten verbleiben, auch soll es weiterhin Außenstellen geben, in denen Einsicht in die Dokumente genommen werden kann. Das Bundesarchiv, die künftige organisatorische Hüterin der Akten, beherbergt die Archivalien deutscher Geschichte vom Heiligen Römischen Reich über den Deutschen Bund, das Deutsche Reich, die Besatzungszonen bis hin zur DDR und der Bundesrepublik Deutschland.

Die kultur- und medienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Motschmann (CDU), sagte: "Die Zusammenführung bedeutet keine Abwertung der Akten und ihrer Aufarbeitung - im Gegenteil. Wir wissen, dass hinter jeder Akte Opfer stehen. Diese verdienen Gerechtigkeit. Deshalb muss die Aufarbeitung nicht nur fortgeführt, sondern gestärkt werden. Das Stasi-Unterlagen-Archiv wird nicht in der Versenkung verschwinden. Es wird fit für die Zukunft gemacht." Zudem werde es statt des Aktenbeauftragten einen Opferbeauftragten geben. In der ehemaligen Stasizentrale in Berlin-Lichtenberg soll ein Archivzentrum errichtet werden, in dem die Unterlagen der Stasi, der SED und der DDR-Behörden gemeinsam untergebracht sind.

Gegen die Neuausrichtung wandte sich im Parlament einzig die AfD. Sie forderte in einem eigenen Antrag, die Pläne zurückzustellen und stattdessen die Aufarbeitung der DDR-Diktatur mit mehr Personal und mehr Geld zu fördern. Der AfD-Abgeordnete Marc Jongen erhob den Vorwurf, 30 Jahre nach dem Mauerfall solle die Stasi-Unterlagen-Behörde "still und heimlich" abgewickelt werden. Es solle der Stift angesetzt werden zu einem "Schlussstrich unter die Verbrechen des SED-Regimes", sagte Jongen und bezog sich auch auf die Kritik zahlreicher früherer DDR-Bürgerrechtler an der Überführung der Aktenbestände. Jongen sagte, es gebe in Deutschland "DDR-artige Verhältnisse unter Bundeskanzlerin Angela Merkel". Die Linke-Politikerin Simona Barrientos hielt Jonge entgegen, er arbeite "mit Lügen". Die Linke wendet sich allerdings auch gegen ein Archiv zur "SED-Diktatur". Die Grünen-Politikerin Monika Lazar warf der AfD vor, die DDR-Bürgerrechtler vor ihren Karren spannen zu wollen. Auch Katrin Budde (SPD) verwahrte sich gegen die Vereinnahmung der Opfer der SED-Diktatur durch die AfD. Sie verwies auf jahrelange Beratungen und die Einbeziehung vieler Beteiligter in die Neuordnung der Aktenbestände, darunter auch des gegenwärtige Leiters der Unterlagen-Behörde.

Gegen die Überführung ins Bundesarchiv und eine Neuordnung der Behörde haben sich unter anderem ehemalige Bürgerrechtler und Politiker mit einer Erklärung gewandt, darunter der ehemalige Staatsminister Rolf Schwanitz (SPD), der Autor Konrad Weiss, der frühere Grünen-Politiker Werner Schulz, die frühere Unterlagenbeauftragte Marianne Birthler sowie Ehrhart Neubert und Ulrike Poppe. Sie schreiben unter anderem: "Anstatt sie zu zerschlagen, rufen wir zur Ertüchtigung der Stasiunterlagen-Behörde und ihrer Außenstellen auf. Geschichte lässt sich nicht abwickeln."