Sie vermissen Ihr Fitnessstudio? Die Bundesregierung rät Ihnen zur Gartenarbeit

Pressebericht, www.www.welt.de, 30.03.2021

Seit Monaten sind die Fitnessstudios dicht. Glaubt man der Regierung, kann das so bleiben – als Alternative kommen schließlich Radfahren oder Gartenarbeit infrage. Die Branche ist außer sich. Und es gibt noch ein Problem: Die Zahl der Gartenbesitzer hält sich in Grenzen.

Auf dem Sofa liegen, Dosenravioli essen und nichts tun – wer das macht, der werde zum Helden der Corona-Krise. So jedenfalls lautete die Botschaft einer Video-Kampagne der Bundesregierung, die Bürger im Winter zum Daheimbleiben animieren sollte. Sport machen? Das wäre auch kaum möglich gewesen, sind Fitnessstudios und Sportvereine doch seit Monaten fast überall geschlossen.

Glaubt man der Bundesregierung, scheinen baldige Öffnungen auch nicht nötig zu sein. Die Menschen bekämen offenbar auch so genügend Bewegung, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion hervorgeht, die WELT vorliegt. „Nach derzeitiger Datenlage besteht in Folge dieser Beschränkungen kein signifikanter Rückgang der körperlichen Aktivität“, heißt es darin.

Grund dafür könnten die Alternativen sein, mutmaßt die Bundesregierung und nennt allen voran die digitalen Ersatzangebote vieler Vereine und Fitnessstudios. Konkrete Erkenntnisse dazu lägen der Bundesregierung allerdings nicht vor.

Sind Fitnessstudios plötzlich entbehrlich? Ihre Existenzberechtigung will die Bundesregierung den Betrieben zwar nicht absprechen: „Sportvereine und Fitnessstudios unterstützen mit ihren Angeboten die Bevölkerung dabei, regelmäßig und ausreichend körperlich aktiv zu sein und somit dem Risiko verschiedener physischer Erkrankungen und psychischer Beschwerden vorzubeugen“, heißt es in der Antwort.

Diesem Ziel würden aber auch Aktivitäten im Alltag wie Fahrradfahren, längere Spaziergänge und Gartenarbeit dienen. Dabei hat schätzungsweise nur jeder zweite Deutsche überhaupt einen eigenen Garten.

Die Studiobetreiber sind entsetzt, zeigen ihre Daten zur sportlichen Betätigung doch etwas ganz anderes. „Die Antwort ist bodenlos“, sagt Birgit Schwarze, Präsidentin des Arbeitgeberverbandes deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen (DSSV), WELT. Die Branche widerspricht den Aussagen der Bundesregierung scharf und verweist auf die vorläufigen Ergebnisse einer aktuellen Studie der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG).

Präventiver Nutzen des Sports

Demnach sinke die Motivation der Menschen, sich sportlich zu betätigen, mit zunehmender Dauer des Lockdowns immer weiter. „Alternative Trainingsformen wie Radfahren werden aktuell nur von knapp einem Viertel der Trainierenden tatsächlich praktiziert“, heißt es darin. Die Folge: eine Verschlechterung des körperlichen Befindens.

Unterstützung erhält die Branche aus der Opposition. „Sinn und Wirkung von Sportvereinen und Fitnessstudios sind niemals vergleichbar mit Gartenarbeit und Spazierengehen“, sagt die sportpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Britta Dassler. Die Antwort mache fassungslos und sei die Spitze vieler Respektlosigkeiten der Bundesregierung gegenüber der Leistung Tausender Ehrenamtlicher und Sportunternehmer in der Pandemie.

Wissenschaftler betonen immer wieder den präventiven Nutzen von Sport in Einrichtungen oder Vereinen. Das Risiko für Herzerkrankungen und Schlaganfälle kann gesenkt, das Immunsystem gestärkt werden. Ob die monatelangen Schließungen gesundheitliche Folgen bezüglich verschiedener Erkrankungen haben, wisse die Bundesregierung aber nicht, wie aus der Antwort hervorgeht.

Es sei nicht akzeptabel, dass das Krisenmanagement keinerlei Kenntnis über die gesundheitlichen Folgen hat, fügt Dasslers Abgeordnetenkollege Pascal Kober hinzu. „Sport sollte vielmehr als Teil der Pandemiebekämpfung betrachtet und in die Corona-Strategie miteinbezogen werden“, fordert der FDP-Sozialpolitiker. Der Bund müsse Regelungen treffen, die eine echte und differenzierte Risiko-Nutzen-Abwägung zulassen.

Aus Sicht der Grünen kommen Öffnungsdebatten jedoch zum falschen Zeitpunkt. „Auch Fitnessstudios tragen zur Gesundheitsprävention bei, sie sind ein wichtiger Teil der Sportlandschaft“, sagt Monika Lazar, sportpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. „In der aktuellen Lage, zu Beginn der dritten Welle, halte ich Öffnungen von Fitnessstudios für nicht vertretbar.“ Derzeit müsse alles darangesetzt werden, das exponentielle Wachstum bei den Neuinfektionen zu stoppen.

Laut einer aktuellen Erhebung des Hermann-Rietschel-Instituts der Technischen Universität Berlin ist die Infektionsgefahr in Fitnessstudios bei starker Auslastung tatsächlich hoch. Demnach liegt der sogenannte R-Wert in Fitnessstudios bei halber Belegung und ohne Maskentragen bei 3,4. Der Wert gibt an, wie viele weitere Menschen eine infizierte Person im Mittel ansteckt.

Sind die Klubs nur zu 30 Prozent ausgelastet, liegt der R-Wert laut Wissenschaftler immerhin noch bei 1,4. Zum Vergleich: Ein Kino komme bei gleicher Auslastung nur auf einen Wert von eins. Deutlich höher sei das Risiko aber im Großraumbüro. Bei einer Belegung von 50 Prozent und ohne Maskentragen steckt eine infizierte Person hier im Schnitt acht weitere an.

Zwölf Millionen Mitglieder

„Die Branche verfügt über funktionierende Sicherheits- und Hygienekonzepte“, heißt es dazu vom DSSV. Diese müssten in die Beurteilung des Ansteckungsrisikos einbezogen werden. Zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown haben die Unternehmen reagiert: Mehr Platz wurde zwischen den Geräten geschaffen, außerhalb des Trainings galt Maskenpflicht. Werden diese Maßnahmen eingehalten, reduziere sich die Infektionsrate stark, argumentiert die Branche.

Zuspruch kommt selbst von Politikern der Regierungsparteien: „Fakt ist doch: vernünftige Hygienekonzepte liegen auf dem Tisch“, sagt Mahmut Özdemir, sportpolitischer Sprecher der SPD. Ihm sei es ein großes Anliegen, dass Sportvereine und Fitnessstudios wieder durchstarten können, sobald es die Infektionslage erlaube. „Hier wünsche ich mir den nötigen Pragmatismus, um Sport wieder möglich zu machen.“

Den Klubbetreibern dürfte es nicht allein um die Fitness ihrer Kunden gehen, sondern auch ums Geld. In Deutschland gibt es rund 10.000 Fitnessstudios mit knapp zwölf Millionen Mitgliedern. Bereits jetzt ist das diesjährige Neukundengeschäft um 45 Prozent eingebrochen. Hinzu kommen Kündigungen aus dem vergangenen Jahr. „Die Betriebe stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagt Verbandspräsidentin Schwarze.

Die finanzielle Not scheint jedenfalls groß zu sein: So haben die privaten Fitnessbetriebe über die verschiedenen Programme hinweg bislang mehr als 15.000 Hilfsanträge gestellt, wie aus der Antwort der Bundesregierung hervorgeht. Die bewilligte Fördersumme beläuft sich auf fast 285 Millionen Euro.

Und noch immer warten einige Betriebe auf ihr Geld. Selbst bei der Überbrückungshilfe I, die für die Monate Juni bis August 2020 gewährt wurde, stehen Zahlungen aus. Auch bei den sogenannten November- und Dezemberhilfen sind noch Beträge in einstelliger Millionenhöhe offen.

Dabei schöpften die Betriebe zuletzt wieder Hoffnung. Bund und Länder hatten in ihren jüngsten Beschlüssen den Studios Perspektiven in Aussicht gestellt. Ein vierter Öffnungsschritt sollte den kontaktfreien Sport im Innenbereich ermöglichen.

Und zwar dann, wenn sich die Sieben-Tage-Inzidenz nach dem dritten Öffnungsschritt zwei Wochen lang nicht verschlechtert hat und der Wert in dem jeweiligen Land oder der Region unter 50 liegt. Mittlerweile wurde diese Perspektive aber von der Realität eingeholt. Zu Wochenbeginn lag die Sieben-Tage-Inzidenz in 396 von insgesamt 412 deutschen Landkreisen bei über 50 – Tendenz vielerorts steigend.

Hoffnungen gibt es zumindest in manchen Regionen. Im Saarland sollen nach Ostern die Fitnessstudios wieder öffnen dürfen, wie etwa auch Kinos oder die Außengastronomie. Voraussetzung ist ein tagesaktueller negativer Schnelltest.

Auch in Hessen und Schleswig-Holstein bleiben Einrichtungen weiter offen – allerdings unter strengsten Bedingungen und bei vorheriger Anmeldung. Die Plätze dürften rar sein. So darf in Hessen auf einer Fläche von 40 Quadratmetern maximal eine Person trainieren, in Schleswig-Holstein müssen es gar 80 Quadratmeter sein.

Autor: Laurin Meyer

[Quelle: https://www.welt.de/wirtschaft/article229380107/Geschlossene-Fitness-Studios-Regierung-setzt-auf-Gartenarbeit.html]