Leichtathletik-WM in Doha: Probleme mit Ansage

Pressebericht, dw.com, 04.10.2019

Leere Ränge, gekühltes Stadion, Gluthitze außerhalb, problematische Menschenrechtslage - die Leichtathletik-WM in Doha sorgt nicht nur bei Sportfans für Kopfschütteln.

Vor dem abschließenden 1500-Meter-Lauf der Zehnkämpfer wurde das Khalifa-Stadion abgedunkelt. Auf die Tartanbahn wurden die Bilder und Namen des späteren Überraschungs-Weltmeisters Niklas Kaul und seiner Konkurrenten projeziert. Anschließend wanderte ein Scheinwerfer-Spot von einem zum nächsten Athleten, das Ganze stimmungsvoll untermalt von Musik.

Mit solchen Showeffekten kaschieren die Veranstalter der WM in Doha seit Tagen, dass das Khalifa-Stadion bestenfalls zur Hälfte mit Zuschauern gefüllt ist - und das, obwohl seit Tagen Freikarten verteilt werden. Wohl noch niemals zuvor hat es eine derart stimmungsarme Leichtathletik-WM gegeben wie die aktuell laufende in Katar.

Marathonstart um Mitternacht

Einer der wenigen, die von der WM in Doha begeistert sind, ist der Brite Sebastian Coe, seit 2015 Präsident des Leichtathletik-Weltverbands IAAF. "Ich kann mich nicht an eine Weltmeisterschaft erinnern, die auf diesem Niveau war", sagte der frühere Weltklasseläufer, der 1980 und 1984 Gold über 1500 Meter gewonnen hatte. "Es war noch nie so schwer, eine Medaille zu gewinnen."

Damit meinte Coe die große Leistungsdichte - nicht jedoch die teilweise haarsträubenden Bedingungen, unter denen die Athleten antreten müssen. So werden die Marathonläufer am Samstag erst um Mitternacht starten, um der Gluthitze zu entgehen. Beim Rennen der Frauen am vergangenen Wochenende waren trotz des späten Starttermins noch 32,7 Grad Celsius und eine Luftfeuchtigkeit von 73,3 Prozent gemessen worden. Nur 40 der 68 Läuferinnen hatten das Ziel erreicht.

"Ökologischer Wahnsinn"

Das Khalifa-Stadion, das auch für die Fußball-WM 2022 in Katar genutzt werden soll, wird über Kaltluft-Düsen an der Unterseite der Tribünen auf 25 Grad heruntergekühlt. Das Stadion hat kein Dach, die kalte Luft wird also quasi durchs offene Fenster in den Wüstenhimmel gepustet. Das sei "ökologischer Wahnsinn", sagt Monika Lazar der DW. Die sportpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag bezeichnet die WM auch auf anderen Ebenen als "Desaster".

Lazar verweist unter anderem auf die Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe der Titelkämpfe an Doha im Jahr 2014 sowie auf die bei der WM erstmals eingesetzten Kameras an den Startblöcken, "die Athletinnen in den Schritt filmen". Es tue ihr besonders leid für die Athletinnen und Athleten, so die Grünen-Politikerin, "denn sie müssen die Fehlentscheidungen der Verbände ausbaden: Sie müssen vor quasi leeren Rängen jubeln. Sie kollabieren teilweise tagsüber aufgrund der Hitze oder müssen ihre Wettkämpfe wegen der TV-Vermarktung und der Hitze zu Nachtstunden antreten."

Eklatante Menschenrechtsverletzungen

Problematisch bleibt auch die Lage der Menschenrechte in Katar, auf die Menschenrechtsorganisationen mit Blick auf die anstehende Fußball-WM seit Jahren hinweisen. Nach wie vor würden in dem Golfstaat Menschenrechte "eklatant" verletzt, erklärt Amnesty International. "Die Lage der Arbeitsmigranten hat sich noch immer nicht signifikant verbessert", sagt Regina Spöttl, Katar-Expertin von Amnesty, der DW.

"Das ausbeuterische Sponsorensystem Kafala existiert unter neuem Namen weiter und trägt nach wie vor zu einer unverhältnismäßig großen Abhängigkeit der Arbeiter von ihren Arbeitgebern bei: Pässe werden nach wie vor einbehalten, Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen nicht verlängert. Die meisten der Arbeiter fristen weiterhin in völlig unzureichenden Camps weit außerhalb der Stadt ihr Leben. Viele von ihnen bekommen ihren Lohn verspätet oder gar nicht ausbezahlt."

Inzwischen könnten die Arbeiter ihre Rechte zwar einklagen, so Spöttl. "Allerdings sind diese Schlichtungsgremien personell stark unterbesetzt, sodass die Verfahren viel Zeit in Anspruch nehmen. Viele Arbeitsmigranten reisen daher mit leeren Händen zurück in ihre Heimatländer." Amnesty beklagt, dass die Regierung inzwischen zwar mit der ILO, der Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen zusammenarbeite, nicht aber mit Menschenrechtsorganisationen. So gebe es eine gemeinsame Initiative von ILO und Katar, um das Arbeitsschutzgesetz in dem Golfstaat zu verbessern, sagt Spöttl: "Reformen bleiben jedoch lückenhaft, neue Gesetze haben Schlupflöcher. Die Mitgliedschaft in Gewerkschaften ist für Arbeitsmigranten noch immer verboten."

"Man ahnt nichts Gutes"

Die Frage steht im Raum, warum Weltsportverbände wie die IAAF oder FIFA überhaupt Großereignisse in einen Wüstenstaat wie Katar vergeben. Mit Ausnahme finanzieller Gründe lassen sich kaum Argumente finden. "Dem Leichtathletik-Weltverband sollte das Desaster eine Lehre sein, nur mit einer Umbenennung des Verbandes [die IAAF nennt sich künftig "World Athletics" - Anm. d. Red.] ist es nicht getan. Das Traurige ist: Viele der Probleme waren absehbar", meint Grünen-Politikerin Monika Lazar und richtet den Blick auf das nächste Großereignis in dem Emirat: "2022 steht mit der Fußball-WM der Männer die nächste Sportgroßveranstaltung in Katar vor der Tür, man ahnt nichts Gutes."

Autor: Stefan Nestler

[Quelle: www.dw.com]