"Law and Order bringen uns nicht weiter"

Pressebericht, Junge Welt, 13.12.2018

Stadionkurven sind längst Testfeld für ausufernde Sicherheitspolitik geworden. Fußballfans organisieren sich dagegen. - Es gibt regelmäßig Forderungen nach Strafverschärfungen. Ein Gespräch mit Monika Lazar,  MdB, Sprecherin für Sportpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, mit Oliver Rast

Frau Lazar, mehrere Landesinnenminister erwägen, das Abbrennen von Pyrotechnik in Stadien nicht mehr als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat zu ahnden. Was halten Sie von diesem Vorstoß?

In der Pyrotechnikdebatte bringen uns populistische Law-and-Order- Forderungen, wie Knast für Zündler, nicht weiter. Sicherheitsbehörden können schon in ausreichendem Maße gegen Pyrodelikte vorgehen. Wer mit Pyro erwischt wird, hat mit Konsequenzen, wie einem Stadionverbot, zu rechnen.
Wenn das Abbrennen von Pyrotechnik als Straftat eingestuft wird, befürchte ich eine Verschärfung der Situation in den Stadien: Mehr Polizeieinsätze in Fanblöcken etwa, die sehr gefährlich sein können, auch für Polizisten. Die Polizei sollte immer abwägen: Will sie eine Massenpanik und zahlreiche Verletzte durch Knüppeleinsatz und Pfefferspray auf den Rängen unter den Fans riskieren, oder sollte sie eher im Nachhinein Ordnungswidrigkeiten und Straftaten aufklären? Letzteres ist meines Erachtens fast in allen Fällen die deutlich vernünftigere Lösung.

Sollte Pyrotechnik in Stadien – unter bestimmten Voraussetzungen – legalisiert werden? Und: Was halten Sie von den aktuellen Pilotprojekten sogennanter kalter Bengalos mit deutlich geringerer Hitzeentwicklung?

Die Pilotprojekte zur kalten Pyrotechnik in Dänemark sind auf jeden Fall sehr interessant. Ich würde es begrüßen, wenn sich auch die deutschen Fußballverbände damit auseinandersetzten. Verantwortliche von Werder Bremen signalisierten ja schon Diskussionsbereitschaft.
In Österreich und Norwegen gibt es außerdem ganz gute Erfahrungen mit einer Ausnahmeregelung, nach der Pyrotechnik in bestimmten Bereichen des Stadions kontrolliert gezündet werden darf. Wenn es dort funktioniert, wieso nicht auch hierzulande? In der Pyro-Debatte nehme ich die Fronten momentan leider als sehr verhärtet war. Wir brauchen jetzt eine neue Offenheit für den Dialog aller Akteure.

Der Fußballfan, der Staatsfeind. Warum ist die Fankurve zum Experimentierfeld für Gesetzesverschärfungen geworden? Lässt sich der Abbau von Bürgerrechten an Fußballfans besonders gut proben?

Generell beobachte ich in den letzten Jahren einen besorgniserregenden Trend zum Austesten neuer repressiver Maßnahmen an Fußballfans. Das geht von regelmäßigen Forderungen nach Strafverschärfungen über intransparente Datensammlungen bis hin zu Kollektivstrafen.
Mittlerweile wehrt sich die Fußballfanszene aber auch gegen diese Entwicklung. Die Proteste gegen die neuen Polizeigesetze tragen an vielen Standorten ja auch gerade Fußballfans. In zahlreichen Szenen gründen sich Fanhilfen, die juristischen Beistand organisieren. Die AG Fananwälte kümmert sich um rechtliche und politische Faninteressen. Und die Politik ist auch nicht untätig. Zur Datei »Gewalttäter Sport« stellen wir regelmäßig Kleine Anfragen an die Regierung, um Licht ins Dunkel dieser Datensammelei zu bringen.

Die Atmosphäre zwischen aktiven Fanszenen, Verbänden und Innenpolitik ist vergiftet. Will die Sportpolitik hier vermitteln? Wenn ja, in welche Richtung?

Ich wünsche mir, dass sich die Sportund Jugendpolitik viel stärker in fanpolitische Debatten einmischt. Wir dürfen dieses gesellschaftlich äußerst relevante Feld nicht nur der Innenpolitik überlassen, die tendenziell lieber an der Repressionsschraube dreht, als präventive Ansätze zu stärken. Dabei zeigt doch gerade die Erfolgsgeschichte der sozialpädagogischen Fanprojekte, dass man hier durch Prävention einiges an Konfliktpotential auffangen kann.

Interview: Oliver Rast

[Quelle: www.jungewelt.de]


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