Krisenjahr 2010 – Leipzigs Bundestagsabgeordnete im Interview (4): Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen)

Pressebericht, Leipziger Internet Zeitung, 06.06.2010

Als der Bundestag am 7. und 21. Mai die beiden Rettungsschirme für Griechenland und den Euro beschloss, zeigte sich die Opposition uneinig. Während die SPD enthaltsam blieb und die Linke beide Pakete ablehnte, gab es bei den Grünen teilweise Zustimmung. Nicht aber bei Monika Lazar, die im vierten Teil unserer Interviewreihe über die Krisenbewältigung anno 2010 spricht.

von Robert Weigel

Der Bundestag hat im Mai in zwei Abstimmungen Rettungspakete für Griechenland und zur Stabilisierung der gemeinsamen europäischen Währung beschlossen. Wie haben Sie bei diesen beiden Abstimmungen votiert und warum?
Ich habe mich in beiden Fällen enthalten. Die Gründe im Fall Griechenland können Sie in einer persönlichen Erklärung auf meiner Homepage nachlesen. Mit mir haben noch vier grüne Abgeordnete so entschieden, die restliche Fraktion hat zugestimmt. Bei der Eurorettung hat die gesamte Fraktion sich enthalten. Dies war für uns die einzige verantwortliche Möglichkeit, da wichtige Informationen nicht vorlagen und es möglich gewesen wäre, später mit allen relevanten Infos sachkundiger zu entscheiden.

Reichen die beschlossenen Maßnahmen in beiden Fällen aus, um das gewünschte Ziel zu erreichen?
Nein. Es handelt sich hierbei um globale Probleme, die nicht mit einzelnen Maßnahmen zu bewältigen sind.

Bei beiden Rettungsschirmen handelt es sich um Bürgschaften – wie groß schätzen Sie das Risiko ein, dass diese tatsächlich in Anspruch genommen werden müssen?
Im Falle Griechenlands ist die Verschuldung sehr hoch, so dass eine Umschuldung jetzt oder später wahrscheinlich ist. Da die Bundesregierung nicht auf einer Vorrangigkeit gegenüber privaten Gläubigern bestanden hat, würde dann auch ein Teil der Bürgschaft in Anspruch genommen werden. Beim Eurorettungspaket ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass es nicht zu einem Ausfall kommt. In beiden Fällen wurde aber stark auf das "Prinzip Hoffnung" gesetzt.

Beide Themen wurden im Eiltempo durchs Parlament gepeitscht, Zeit für Debatten blieb dabei kaum. Seriöse Politik sieht sicher anders aus – wird im Bundestag jetzt nur noch mit Regierungsmehrheit abgenickt und durchgewunken?

Die grüne Fraktion macht sich ihre Entscheidungen nicht leicht. Leider fehlt uns aber im Bundestag die politische Mehrheit. Daher können wir Tendenzen des "Durchwinkens" bedauerlicherweise nur bedingt wirksam entgegentreten.

Im absoluten Ernstfall entstehen dem bundesdeutschen Haushalt Ausfälle in dreistelliger Milliardenhöhe, anderen Ländern Europas erginge es ähnlich. Dann wären die Griechen und der Euro gerettet, aber halb Europa kurz vor der Pleite. Das klingt ein bisschen nach einer Abwärtsspirale, aus der man dann kaum entkäme...
Solch hohe Belastungen würden nur bei einem Komplettausfall aller Länder unter dem Rettungsschirm auftreten. Ich halte dies für sehr unwahrscheinlich. Wir haben aber immer kritisiert, dass die Frage wer die Kosten der Krise eigentlich zahlt, nicht beantwortet wurde. Statt mit einer Finanztransaktionssteuer in Europa und einer Vermögensabgabe in Deutschland diese Kosten gerecht und nach dem Verursacherprinzip zu verteilen, wurden so die privaten Verschuldungen einfach nur verstaatlicht. Die große Gefahr ist, dass zahlreiche überschuldete Staaten nicht mehr in der Lage sind, die dringend notwendigen Zukunftsinvestitionen zu leisten. Ich denke da vor allem an Klimaschutz, Bildung oder die Leistungen für die Schwächsten der Gesellschaft.

Nachdem das Thema Steuererleichterungen nach der NRW-Wahl erstmal vom Tisch scheint: In welchen Ressorts muss in den nächsten Jahren am stärksten gespart werden, damit der Haushalt wieder in die Waagerechte kommt? Welche Themenbereiche bieten die größten Sparpotentiale, wie kann die Last ausgeglichen verteilt werden?

Zu unseren Steuervorschlägen gehören neben der Finanztransaktionssteuer und der Vermögensabgabe auch eine höhere Erbschaftsteuer, die Anhebung des Spitzensteuersatzes und die Nichtabzugsfähigkeit von hohen Gehältern. Auch Einsparungen bei den Ausgaben sind möglich. Viele Mittel werden ineffizient eingesetzt. Beispielhaft seien umweltschädliche Subventionen genannt. Mit ihrem Abbau wären mittelfristig bis zu 15 Milliarden Euro pro Jahr freizusetzen. Mit einer mutigen Strukturreform können auch bei den Verteidigungsausgaben hohe Einsparungen erreicht werden. So würde etwa die Bundeswehr auch mit 50000 Soldatinnen und Soldaten weniger ihre Aufgaben erfüllen können. Die Wehrpflicht sollte abgeschafft werden. Sie ist teuer und unsinnig. Die Rüstungsbeschaffungen müssen reduziert werden. Auf einige Projekte wie den Kampfhubschrauber Tiger, PARS 3, Taurus oder das Raketenabwehrsystem MEADS, die teilweise aus der Sicherheitsanalyse des Kalten Kriegs resultieren, könnte die Bundeswehr ganz verzichten.

Sind Steuererhöhungen, z.B. für Spitzenverdiener, für Erben und Vermögende, oder auch für die teilweise immer noch sehr gewinnträchtig agierenden deutschen Großunternehmen, ein Mittel, die Einnahmenseite des Bundeshaushaltes aufzubessern?
Wie schon erwähnt, sind wir für steuerliche Änderungen für diese Personengruppen. Damit wollen wir nicht nur mehr Einnahmen schaffen, sondern auch die soziale Gerechtigkeit erhöhen. Bei Unternehmen fordern wir eine gemeinsame europäische Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer und Mindeststeuersätze, um den Steuerwettbewerb in Europa endlich einzudämmen.

Wann, glauben Sie, kommt in Deutschland die nächste Mehrwertsteuererhöhung? Darf oder muss man darüber jetzt schon diskutieren?
Eine Mehrwertsteuererhöhung wäre die denkbar unsozialste Lösung. Es gibt Alternativen (siehe oben). Außerdem sollte es einen Abbau der Ausnahmen in der Ökosteuer geben. Im Gegensatz zur Mehrwertsteuer kann so ein ökologischer Lenkungseffekt erzielt werden. Im Rahmen einer Streichung von Sondertatbeständen in Einkommensteuer und Umsatzsteuer (z.B. bei Hoteliers), können ebenfalls Milliarden eingenommen werden.

Wirtschaftsexperten streiten aktuell viel darüber, was schlimmer ist: eine Deflation oder eine Inflation. Wovor haben Sie mehr Angst?

Derzeit vor einer Deflation. Infolge einer wahrscheinlich schwachen Wirtschaftsentwicklung und steigender Arbeitslosigkeit in Europa wird es mehr Druck auf fallende Preise und Löhne geben als auf steigende. Eine Deflation ist auch gefährlicher als eine moderate Inflation, weil sie dazu führen kann, dass wir in einer Rezession verharren. Dies führt unweigerlich zu steigender Arbeitslosigkeit und steigenden Staatsschulden.

Quelle: www.l-iz.de