"Die Wahrheit gesprochen"

Pressebericht, Leipziger Volkszeitung, 09.07.2011:

Kamal-Prozess: Neonazi wegen Mordes zu 13 Jahren Haft verurteilt / Opfer-Familie erleichtert

Für das Landgericht stand gestern ohne Zweifel fest: Es war Mord aus Fremdenhass. Die 1. Strafkammer verurteilte Neonazi Marcus E. (33) wegen des Tötungsverbrechens an dem Iraker Kamal K. zu 13 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Mittäter Daniel K. (29) kam mit drei Jahren Freiheitsentzug wegen gefährlicher Körperverletzung davon.
Das Gericht ordnete zudem seine Unterbringung in einer Alkohol-Entziehungsanstalt an.

Nach dem Urteil lagen sich Martin Gillo, Sachsens Ausländerbeauftragter, und Angehörige des Opfers in den Armen. "Das Gericht hat die Wahrheit gesprochen. Das Motiv war nicht Streit, sondern Ausländerfeindlichkeit", sagte Esa I., ein Onkel des Getöteten. Kamals Stiefvater, Loai A., trug auch gestern wie schon zum Prozessauftakt im Zuschauersaal ein T-Shirt mit der Frage "Warum?".

Die Antwort des Gerichts darauf fiel sehr deutlich aus: "Der Messerstich erfolgte aufgrund der Tatsache, dass sich ein Ausländer im Kampf mit einem Kameraden befindet. Damit hat der Ausländer sein Leben verwirkt", so der Vorsitzende Richter Hans Jagenlauf zur Motivation des Neonazis Marcus E., dem Iraker am 24. Oktober 2010 in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofes ein Messer in den Bauch zu rammen. "Er betrachtete das Opfer nicht als einen Menschen, sondern als Ausländer, dessen Leben nichts wert ist. Das sind niedrige Beweggründe. Und deshalb ist es Mord." Darauf steht lebenslänglich. Aufgrund seiner erheblichen Alkoholisierung zur Tatzeit - 2,4 Promille - sei Marcus E. jedoch vermindert schuldfähig. Deshalb verhängte das Gericht 13 Jahre Haft.

Dass der Erfurter das menschenverachtende Gedankengut der Naziszene voll verinnerlicht habe, trage er mit seinen Tätowierungen auf seinem Körper zur Schau. Jagenlauf nannte den Schriftzug "Rassenhass" sowie die Bildnisse von Adolf Hitler und einem Wehrmachtssoldaten. Zudem wurde in der Wohnung des Erfurters Neonazi-Literatur sichergestellt. Der Vorsitzende Richter unterstrich die Gefährlichkeit von Marcus E. und seinen Hang zu schweren Straftaten. Deshalb ordnete das Gericht  Sicherungsverwahrung für den massiv Vorbestraften an. Sollte er seine Verhaltensweise nicht ändern, könne es sein, dass er die Freiheit nie mehr erleben werde. Bei Sicherungsverwahrung bleiben Täter nach der Haft auf unbestimmte Zeit im Gefängnis. Die Maßnahme muss alle zwei Jahre überprüft werden.

Staatsanwältin Katrin Minkus hatte zwölf Jahre Haft wegen Totschlags sowie Sicherungsverwahrung beantragt; sie sah Fremdenhass nicht als Motiv an. Verteidiger Stephan Rochlitz wollte eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Er wie auch die Anklagebehörde bezeichneten es gestern als "noch unklar", ob sie in Revision gehen. Daniel K., der den Streit mit dem Opfer angezettelt hatte, war jahrelang  Mitglied einer rechtsextremen Aachener Kameradschaft und trug - wie auch  Marcus E. - in der Tatnacht Kleidung der Marke Thor Steinar, mit der  Zugehörigkeit zur rechtsextremen Szene demonstriert wird. Er hatte angegeben, von dem Messer nichts gewusst zu haben. Das konnte nicht widerlegt werden, so die Richter.

Martin Gillo zollte dem Gericht Respekt: "Das Urteil zeigt, dass Straftaten gegen Ausländer im Freistaat mit aller Härte geahndet werden." Die sächsische Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Bündnis 90/Grüne) meinte: "Da viele Gerichte sehr vorsichtig mit der Zuordnung einer Straftat umgehen und somit viele Taten, die von Neonazis und  anderen Menschenfeinden begangen werden, nicht als Straftaten mit  fremdenfeindlichem Hintergrund eingestuft werden, hat gerade dieses  Urteil Signalwirkung." Juliane Nagel, Stadträtin der Linken, meinte, das  Gericht habe sich nicht gescheut, "den Finger in die Wunde zu legen und  damit die krasse Dimension rechter Ideologie sichtbar zu machen".