Deutsche Nazifrauen rütteln an den Geschlechterrollen

Pressebericht, Politiken (Dänemark), 19.02.2012

Übersetzung aus dem Dänischen

Beate Zschäpe - das einzige überlebende Mitglied der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund - zeigt, dass Frauen heute den Rechtsextremismus radikalisieren. Zuhause aber war Zschäpe die Sekretärin der Mörder.

von PETER WIVEL, EUROPAKORRESPONDENT, BERLIN

Sie hatte Heidi und Lilly fast vergessen.

Aber der Tag begann auch schlecht für Beate Zschäpe. Sie wusste, dass ihre zwei Kameraden, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt um 9:00 Uhr eine Bank in Eisenach in Thüringen überfallen wollten. War das auch diesmal gut gegangen? Sie war offensichtlich besorgt.

Die Polizei hat nämlich festgestellt, dass sie am Freitag, den 4. November vergangenen Jahres, vergeblich auf den Homepages der lokalen Nachrichtendienste surfte, um zu sehen, ob es etwas Neues gab, während sie ungeduldig daheim in der Wohnung des Trios in Zwickau in Sachsen, 180 km östlich von Eisenach, wartete. Um 11:30 Uhr am Vormittag erhielt Beate Zschäpe dann den Anruf, den sie mehr als alles andere gefürchtet hatte.
Nicht nur jetzt, sondern in all den Jahren. Wir wissen nicht, welchen Bescheid sie erhielt. Aber er lautete ungefähr so: Wir sind eingekreist. Sie bekommen uns nicht lebend. Vernichte alle Spuren! Zschäpe war geschockt. Die Polizei hatte sie schließlich gefasst. Sie klickte sich durch verschiedene Nachrichtenseiten, bis sie dann nach einer gewissen Zeit die Gewissheit bekam, dass ihre zwei Freunde in ihrem Wohnwagen Selbstmord begangen und diesen in Brand gesteckt hatten.

Nun begann ein Wettlauf mit der Zeit. Zschäpe musste glauben, dass es eine Frage von Stunden war, bis die Polizei auch zu ihr fand. Bis dahin sollten die Spuren von zehn Jahren Mord und Banküberfällen, begangen von Deutschlands schlimmsten Naziverbrechern seit dem Zweiten Weltkrieg, beseitigt sein. Dabei handelte es sich um Mengen von automatischen Waffen, Tüten von Geldtransporten, Computern und falschen Ausweispapieren. Da gab es nur eins zu tun: die Hütte nieder zu brennen.

Und da kam ihr plötzlich der Gedanke. Was wird mit Heidi und Lilly, die zwei Katzen der Familie? Sie wusste sich keinen Rat.

Um 13:07 Uhr, also anderthalb Stunden, nachdem sie die beiden Männer verloren hatte, mit denen sie 15 Jahre lang im Untergrund lebte, klickte sie Greenpeace an. Um 13:13 Uhr den Tierschutzbund Gegen Pelze und um 13:26 Uhr die Biobauern Zwickau. Nirgends stand etwas von heimatlosen Katzen.
So gab sie auf, schaltete den PC ab und rief von Ihrem Handy André E. an, ihren nächsten Mitverschworenen. Er musste gewarnt werden, das dauerte anderthalb Minuten.

Das nächste Problem: Einige Handwerker waren dabei, den Loft über der Wohnung zu renovieren, aber um 14:40 Uhr konnte Zschäpe hören, dass sie zum Mittag gingen. Dann goss sie Grillanzünder über das Ganze und schmiss ein Streichholz hinein. Das Feuer entzündete das Gas und um 15:05 Uhr flog die Wohnung mit einem Knall in die Luft, der meilenweit zu hören war. Heidi und Lilly nahm sie in ihren Käfigen mit. Auf ihrem Weg vom Haus weg rannte sie in den vor Schreck erstarrten Nachbarn, der sie fragte, wohin sie unterwegs sei. „Scheiße“, antwortete Zschäpe und gab ihm die Katzen, bevor sie selbst verschwand.

Serienmord an Einwanderern

Die zwei Haustiere haben wesentlich zur Aufklärung beigetragen.

Durch ihre zahllosen Tierarztbesuche wissen wir, dass Beate Zschäpe die erste Katze 2001 und die zweite 2004 anschaffte und dass das Trio die gesamte Zeit in Zwickau vor der Nase der Polizei gewohnt hatte. 2004 hatten Mundlos und Böhnhardt bereits fünf Männer mit Migrationshintergrund ermordet.

Im Verlauf der nächsten 2 Jahre ermordeten sie weitere vier, bevor sie diesen Teil ihrer Verbrechen mit der Ermordung einer Polizistin durch Genickschuss im Jahre 2007 abschlossen.

Dank dieser Katzen und nicht zuletzt dem nichtsahnenden Babysitter, der sich ihrer annahm, wenn das Trio einmal im Jahr von Mitte Juli bis Mitte August in den Campingferien war, weiß man, dass die Terroristen ein durchaus konformes Leben in ihrer Wohnung in der Frühlingsstraße im Zwickauer Viertel Weißenborn führten.

Auf dem Türschild stand zwar „Dienelt“.

Und sie ließen zwar in aller Heimlichkeit die Hauseingangstür von einer TV Kamera überwachen, versteckt in einem Blumenkasten, und die Eingänge von Bewegungsmeldern. Aber an der Oberfläche ähnelte die Wohnung zum Verwechseln einem spießbürgerlichen Milieu, das für die Provinz in Ostdeutschland kennzeichnend ist. Die Katzen waren ein Teil der Standardausstattung. Jeden Donnerstag kamen Susann E. und ihre zwei Jungs zu Besuch, um ihr wöchentliches Bad zu nehmen - ein lautstarkes Ereignis*, das die Nachbarn verfolgen konnten. Oft wurde Susann von ihrem Mann André E. begleitet, der Experte für elektronische Videomontagen ist. Das Paar wohnt gleich um die Ecke, aber für dessen Jungs gab es sowohl ein Doppelstockbett als auch Teddys bei den Mördern.

Die Polizei ist der Meinung, dass André E. das Bekennervideo hergestellt hat, dass Beate Zschäpe nach ihrer Flucht am 4. November an verschiedene Zeitungen und Einzelpersonen verschickt hatte.

Er befindet sich in Haft. Es wird auch Anklage gegen seine Frau, Susann E. erhoben.

Seit sich Beate Zschäpe am 8. November selbst der Polizei stellte, sitzt sie in einer Einzelzelle in Köln-Ossendorf in strenger Isolationshaft.

Hier hat auch die weitaus bekanntere RAF Terroristin Ulrike Meinhof zu Beginn der Siebzigerjahre gesessen. Aber damit hört die Ähnlichkeit auch schon auf.
Ulrike Meinhofs Rote Armeefraktion (RAF) wurde in ihrer 30 jährigen Geschichte von Frauen geführt. Erst von Meinhof und Gudrun Ensslin. Dann von Brigitte Mohnhaupt und Birgit Hogefeld. Die Männer kamen erst in der zweiten Reihe.
Zschäpe war der Polizei zufolge Mitglied einer Bande, die 13 Jahre lang ungestört Banken ausraubte und eine Reihe genau geplanter Morde durchführte. Und sie lebte gleichzeitig mit zwei Männern zusammen. Aber ansonsten lebte die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund entsprechend dem Geschlechterrollenmuster draußen im Nazimilieu, in dem Gewalt auch auf der Tagesordnung steht.

Zschäpe saß auf der Geldkasse. Sie war die zuhause arbeitende Sekretärin. Sie verwaltete das Geld, das Mundlos und Böhnhardt auf ihren Raubzügen beschafften.

Sie bezahlte alle Ausgaben des Trios bar und hatte den Überblick über dessen Wirrwarr von Bankkonten, auf denen das erbeutete Geld versteckt wurde.
Ihre Vorsorge ging soweit, dass sie nach ihrer Flucht André E. dazu brachte, den Campingplatz auf Fehmarn anzurufen und den Platz abzubestellen, den das Trio bereits für diesen Sommer reserviert hatte.

Sie beschaffte der Gruppe falsche Ausweispapiere und mietete unter falschem Namen das Wohnmobil, das sie für ihre Ferien auf Fehmarn und für die neun Morde an Männern mit Migrationshintergrund benutzten.
Aber Mundlos war der unangefochtene Führer.

Susann E. und die dritte Frau, auf die sich die Ermittlungen erstrecken, die Friseurin Mandy Struck, hatten entsprechende Rollen.

Mandy Struck, die ihren vollen Namen in der Zeitung stehen haben möchte, da sie als Zeugin auftritt, nennt sich ohne Umschweife „Mädchen für alles für führende Neonazis“ und „Männeranhang“. Sie gehörten beide zum Gefolge zentraler Personen aus dem Nationalsozialistischen Untergrund und wurden für alles, was mit Decknamen und Deckwohnungen zu tun hatte, eingesetzt.

Die Polizei verdächtigt Zschäpe, die gelernte Gärtnerin, nicht, aktiv an den Serienmorden und den Banküberfällen beteiligt gewesen zu sein. In dem Geschlechterrollenmuster ist nicht viel übrig von den legendären germanischen Walküren, die mit offenem Haar und entblößter Brust den Schwächlingen aus dem Süden den Schreck in die Glieder fahren ließen. Das Rollenmuster ist heute ein ganz anderes und darüber sprach Udo Pastörs, der Führer der Neonazi Partei NPD im nördlichen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, als er 2006 es mit seiner Partei in den Landtag in Schwerin geschafft hatte. Pastörs dankte auf seiner Wahlparty seiner Frau, Marianne Pastörs dafür, dass sie ihm und seinen Kameraden gutes Essen bereitet, die Wäsche gewaschen hat und im Übrigen eine der stillen, treuen, hilfreichen Frauen sei, die man in der NPD schätzt.
Marianne Pastörs bekam weitere Gelegenheit, ihre Ergebenheit zu beweisen, als sie und eine NPD Mitschwester 2009 in zwei Kommunalparlamente in Mecklenburg-Vorpommern eingezogen. Kaum waren diese beiden Frauen gewählt worden, traten sie auch schon zurück und überließen ihre Mandate Männern, die weiter unten auf der NPD Liste standen. Gitta Schüssler die als einzige Frau für die Neonazi-Partei im Parlament eines Bundeslandes sitzt, ärgerte das sehr und sie las ihren männlichen Parteikameraden öffentlich die Leviten.

Die Folge war, dass sie als Vorsitzende der Frauenorganisation der NPD - Ring nationaler Frauen -, die sie selbst 2006 gegründet hatte, zurücktreten musste. An ihrer Stelle wählten die Frauen die etwas ältere Edda Schmidt, in deren Familie Nazigrößen unter Adolf Hitler waren. Edda Schmidt sieht die Frauen der NPD als „Volksmütter“. Deutsche Frauen erfüllen nach ihrer Meinung nicht ihre „naturgegebenen Pflichten als Mütter, wodurch sie sich am Untergang des eigenen Volkes schuldig machen“. Sie nennt folglich auch Kindergeld „Müttergeld“. Aber dies ist Fassade. Michaela Glaser forscht zu neonazistischen Frauenrollen am Deutschen Jugendinstitut in Halle im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt. Hier ist die gewalttätige Naziszene ebenso verbreitet unter Jugendlichen wie in Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern.
Glaser sagt gegenüber Politiken, dass es Mädchen in dem Milieu ergibt, die als Gefolge der Männer auftreten. Die physische Gewalt wird überwiegend, aber nicht ausschließlich von Männern ausgeübt.

„Aber es sind auch Mädchen und Frauen, die selbst gewalttätig in den rechtsextremen Jugendcliquen auftreten - wenn auch in wesentlich geringerem Umfang als Männer“, sagt Glaser.

„Genauso sieht es auf der politischen Ebene aus. Hier sind es Frauen, die im Hintergrund wirken und den Werten der arischen Hausfrau und Mutter huldigen. Aber es gibt gegenwärtig auch Frauengruppen, die sehr selbstbewusste Haltungen repräsentieren bis hin zu den sogenannten national-feministischen Standpunkten.“ Dem stimmt Monika Lazar zu. Lazar ist Mitglied des Bundestages für die Partei Die Grünen. Sie ist gewählt in Leipzig in Sachsen und forscht ebenso wie Glaser zu den gewalttätigen Nazi-Milieus. Sie sagt: „Die Festnahme von Beate Zschäpe ist Zeugnis der Radikalisierung im weiblichen Rechtsextremismus. Wenn Zschäpes Rolle in den Medien oft auf ’das warme Naziliebchen’ reduziert wird, ist dies einer mangelnden öffentlichen Aufmerksamkeit zum Thema Frauen in der rechtsextremen Szene geschuldet.
Es steht nun unumstößlich fest, dass Zschäpe bei Weitem nicht nur Mitläuferin und Geliebte der anderen beiden Täter gewesen war. Die Bagatellisierung der Frauenrolle spiegelt nicht nur sexistische Klischees wieder, sondern bagatellisiert die eigentlichen rassistischen und antisemitischen Verbrechen.“ Zschäpe ist also ein Beispiel für eine neue Frauenrolle? „Ja, die angeblich Männer dominierte rechtsextreme Szene verfügt heute über einen entschlossenen und wachsenden Anteil weiblicher Mitkämpferinnen, der das gesamte Spektrum der Rollenbilder abdeckt - von der im Heim wirkenden Hausfrau bis hin zu autonomen weiblichen Nationalisten“. „Die Mehrheit der Nazifrauen sieht weiterhin ihre ’eigentliche Berufung’ in der Mutterschaft. Was jedoch die rechtsextreme Weltsicht angeht, sind Frauen in der Naziszene nicht weniger fanatisch als Männer - auch wenn sie immer noch eine Minderzahl sind. Auch wenn Nazifrauen selten zu körperlicher Gewalt greifen, so übertreffen sie doch oft die Männer mit fremdenfeindlichen und rassistischen Kampfrufen. Mit ihren Hetzreden provozieren sie die Männer, Verbrechen zu begehen oder in der Schamecke zu enden“, sagt Monika Lazar.

Im NPD Bundesvorstand sitzen 15 Personen, davon zwei Frauen. Die eine ist Ricarda Riefling aus Niedersachsen. Sie hat nicht viel Gutes über Beate Zschäpe zu sagen.

Mord ist die falsche Lösung, sagt Riefling der Zeitung Tagesspiegel.

Aber was schlimmer ist: Zschäpe hat keine Kinder, sagte die 28-jährige Riefling, selbst Mutter von vier Kindern. „Schließlich haben wir als Frauen die Pflicht, unser Volk nicht aussterben zu lassen. Unsere ehrenvolle Aufgabe ist es, ein Volk großzuziehen (wörtlich: groß zu machen) und es zu formen“, sagte sie der Zeitung.

Ricarda Rieflings Ideal ist Ulrike Meinhof.
Zwar verließ Meinhof ihre Kinder, als sie Terroristin wurde. Aber „sie erscheint als jemand, der seine Verbrechen aus Überzeugung begeht“, schwärmt Riefling. Ulrike Meinhof hätte sich auch niemals auf der Straße mit zwei Katzen unterm Arm gezeigt.

peter.wivel@pol.dk

Was die rechtsextreme Weltsicht angeht, sind Frauen in der Naziszene nicht weniger fanatisch als Männer. Monika Lazar, Die Grünen.

 

Fakten: FAKTEN EXTREME FRAUEN

3 bis 5 % der rechtsextremen Verbrechen in Deutschland werden von Frauen begangen. Der Verfassungsschutz schätzte im Jahr 2010, dass 11 % der zirka 25.000 Rechtsextremisten in Deutschland Frauen sind.

Im Bundesland Thüringen, aus dem die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund stammt, ergab eine Umfrage, dass 16 % der Männer rechtsextreme Ansichten hatten.

Unter den Frauen waren es doppelt so viele.
Meinungsumfragen zeigen, dass Frauen in der früheren DDR wesentlich fremdenfeindlicher, rassistischer und islamfeindlich eingestellt sind als Männer.
Eine Untersuchung, die von der Universität Leipzig 2009 durchgeführt wurde, zeigte, dass die Anzahl weiblicher Wähler der rechtsextremen NPD von 26 % im Jahr 2006 auf 36 % im Jahr 2009, gemessen in ganz Deutschland, gestiegen war.

Die NPD selbst sagt, dass 20 % der Parteimitglieder Frauen sind. Bei Wahlen in den Bundesländern sind circa ein Drittel der NPD-Wähler Frauen.

 

Dänischer Originaltext

 

Quelle: www.politiken.dk