Demokratie ist nicht der Normalfall

Pressebericht, Kyffhäuser Nachrichten, 31.01.2011

In der Gedenkstätte Mittelbau Dora beschäftigte man sich gestern einmal nicht mit der Vergangenheit, sondern vielmehr mit der Gegenwart. Unter dem Motto „Der Harz ist Bunt“ hatten drei Bundestagsabgeordnete der Grünen zur Informations- und Diskussionsveranstaltungen geladen. Das Thema: Rechtsextreme Strukturen im Harz.

Sieben Landtagswahlen stehen in diesem Jahr an. In Sachsen-Anhalt rechnet sich die Rechtsextreme NPD Chancen auf den Einzug in den Magdeburger Landtag aus, und auch in Niedersachsen, wo dieses Jahr Kommunalwahlen anstehen, sind verstärkte rechtsextremistische Aktivitäten zu beobachten. Diese Entwicklung wolle man nicht ohne Widerstand hinnehmen, so die Veranstalterinnen Viola von Cramon, Undine Kurth und Monika Lazar. Alle drei sind Mitglieder des Bundestages und gehören der Partei Bündnis 90 - Die Grünen an. Bereits letztes Jahr hatte man zu einer ähnlichen Veranstaltung auf dem Brocken geladen. Unter dem Motto „Der Harz ist Bunt – Grüne Frauen gehen voran“ wolle man so ein Zeichen für eine demokratische und pluralistische Gesellschaft setzen.

„Unser vorrangiges Ziel ist es zu informieren und die Netzwerkbildung zu unterstützen“ so die Abgeordnete Viola von Cramon. Man sei „absolut zufrieden“ mit der gestrigen Veranstaltung – ein Großteil der 80 Sitzplätze in der Gedenkstätte Mittelbau Dora waren besetzt worden. In kurzen Vorträgen hatten Referenten aus Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen über Rechtsextreme Strukturen in ihren jeweiligen Bundesländern informiert und über ihre Erfahrungen in der Auseinandersetzungen mit der extremen Rechten berichtet.


Gestützt auf aktuelle Wissenschaftliche Studien, wie etwa die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „Krise in der Mitte“ oder die Studie „Deutsche Zustände“ von Prof. Wilhelm Heitmeyer, referierte Sebastian Stiegel vom „miteinander e.V.“ aus Sachsen-Anhalt aber zunächst einmal über rechtsextremes Gedankengut allgemein. Rassismus und Menschenfeindlichkeit, so könnte man das Ergebnis der Studien zusammenfassen, finden sich bei weitem nicht nur am politischen Rand der Gesellschaft, sondern sind inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. So sprachen sich in einer Befragung, die im Rahmen der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt wurde, 76% der Befragten (Ost-)deutschen dafür aus, die Religionsausübung für Muslime einzuschränken. Und auch im Westen der Republik sind die Zustimmungsraten nicht bedeutend niedriger. Zwischen 13 und 15% der Deutschen würden sich wieder einen autoritär geführten Staat mit einem Führer an der Spitze wünschen, oder wollen sich in dieser Frage zumindest nicht eindeutig festlegen. „Man muss dazu anmerken das die Ergebnisse dieser Studie noch vor der von Thilo Sarrazin befeuerten Integrationsdebatte veröffentlicht wurden“ bemerkte Monika Lazar, „ wären die Befragungen während dieser Debatte durchgeführt worden, so wäre wohl mit noch höheren Zustimmungsraten zu rechnen gewesen.“

Monika Lazar ist Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der Grünen Bundestagsfraktion. Sie referierte über die neuen Programme zur Extremismusbekämpfung, bzw. „Programme zur Bekämpfung Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Da die Veranstaltung politischer Natur war, sparte man auch nicht mit Kritik an der schwarz-gelben Bundesregierung. Demokratieförderprogramme wie die lokalen Aktionspläne und das „Vielfalt tut gut“- Programm, die sich ursprünglich nur gegen Rechtsextreme Tendenzen richteten und von der damaligen rot-grünen Bundesregierung ins Leben gerufen wurden, würden nun von schwarz-gelb verwässert. „Gestützt auf die pseudo-wissenschaftliche Extremismustheorie, verortet die jetzige Bundesregierung extremistische Tendenzen lediglich am Rande der Gesellschaft und verkennt die Verankerung gerader Rechtsextremen Gedankenguts in der Mitte der Gesellschaft.“ so die Abgeordnete. Die neuen Programme, „Toleranz fördern –Kompetenz stärken“ des Familienministeriums und „Zusammenhalt durch Teilhabe“ des Innenministeriums, richten sich nicht mehr ausschließlich gegen Rechtsextreme Strukturen, sondern sollen auch Linksextremismus oder islamisch geprägten religiösen Fundamentalismus bekämpfen.

Im Zuge dieser Neuausrichtung müssen Vereine, Initiativen und auch Kommunen die Mittel aus den Förderprogrammen beziehen wollen, eine so genannte „Extremismusklausel“ unterzeichnen. Der Passus verlangt von den Antragsstellern sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen und sie sollen so bestätigen, dass sie auf dem Boden der Verfassung stehen. Dagegen ist grundsätzlich erst einmal nichts einzuwenden. Problematisch wird es, wenn die Antragsteller „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ auch dafür Sorge zu tragen haben, dass sämtliche Kooperationspartner das ebenfalls tun. Hierzu solle man zum Beispiel den jährlichen Verfassungsschutzbericht zu Rate ziehen. Man wolle so verhindern das linksextreme Gruppierungen, die sich im Kampf gegen Rechts engagieren, Gelder aus Bundesmitteln erhielten. Seit bekannt werden der Klausel hagelt es Kritik. Die Betroffenen monieren das man Aktivitäten gegen Rechts unter Generalverdacht stelle, das der Paragraph schwammig formuliert sei, das es keine Klarheit und keine Rechtssicherheit in Bezug auf die Umsetzung gäbe, das der „Schnüffelparagraph“ Misstrauen säe und somit die angestrebte Netzwerkbildung behindere und einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand bedeute, den gerade kleinere Vereine kaum leisten könnten.

Auch in Nordhausen steht die Unterzeichnung der Klausel an, wenn die Stadt Projekte zur Demokratieförderung im Rahmen von „Toleranz fördern, Kompetenz stärken“ unterstützen will, wie sie das bisher durch das „Vielfalt tut gut “- Programm getan hat, das Ende letzten Jahres auslief. Aber gerade bei Kommunen ist die Rechtslage unsicher. Wie zum Beispiel soll sich eine Gemeinde verhalten wenn auch die Rechtsextreme NPD im Stadtrat vertreten, und somit Teil der Kommune ist? Auf Anfragen bezüglich der Neuausrichtung, etwa an Ministerin Schröder, hätte Frau Lazar laut eigenem Bekunden zum Teil verwunderliche Antworten erhalten und zeigte sich „bestürzt über das Niveau der Diskussion“ im Bundestag.

„Demokratie ist nicht der Normalfall und muss von jeder Generation neu entdeckt und erlernt werden“ schloss die Abgeordnete. Nachdem die drei Initiatorinnen eine gemeinsame Erklärung verlasen, in der sie noch einmal ihren Standpunkt verdeutlichten, erinnerten sie auch daran das am 19. Februar Europas größter Naziaufmarsch in Dresden stattfinden wird, und riefen dazu auf sich dem braunen Mob entgegen zu stellen und sich für Demokratie und Vielfalt zu engagieren. Im letzen Jahr konnte der Aufmarsch der extremen Rechten, der traditionell eigentlich am 13. Februar, dem Jahrestag der Bombardierung Dresdens, stattfindet, zum ersten Mal erfolgreich blockiert werden. Auch dieses Jahr hoffen Bürgerbündnisse und Parteien auf einen ähnlichen Erfolg.

Da man die Gedenkstätte Mittelbau Dora als Veranstaltungsort gewählt hatte, lag es nahe die Betrachtungen über die Gegenwart mit einem Blick auf die Vergangenheit zu verknüpfen. Bevor aber ein Großteil der anwesenden an einer Führung durch das ehemalige Konzentrationslager, die Stollen und die Dauerausstellung teilnahmen, hatte Gisela Hartmann von den Nordhäuser Grünen noch ein dringendes anliegen. Im Gedenken an Dorothea August, die Vorsitzende des Vereins „Jugend für Dora“, die vor knapp zwei Wochen einer kurzen aber heftigen Erkrankung erlag, legte man einen Blumenkranz am Mahnmal vor dem ehemaligen Krematorium nieder, um die Arbeit und das Engagement von Frau August zu würdigen.
(agl)

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