Bundestagswahl 2013 - Koalitionsspiele beflügeln Rot-Rot-Grün

Pressebericht, Berliner Zeitung, 27.11.2012

Vor der Bundestagswahl 2013 sondieren die Parteien Möglichkeiten ohne die CDU zu regieren: Politiker von SPD, Grünen und Linken arbeiten an einer Annäherung.

Von Steven Geyer

Sie haben debattiert, philosophiert, aber auch Fußball-EM geguckt. Sie haben heimlich Papiere geschrieben, unheimlich gestritten und Bier getrunken. Sogar zu einer zweitägigen Klausur am See zogen sie sich zurück – Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei. Gemeinsam. Was dabei herauskam, stellten sie gar bei Podiumsdiskussionen vor Publikum vor. Öffentlich. Und doch schließt der SPD-Kanzlerkandidat jede Annäherung an die Linke aus, und die Spitzenkandidatin der Grünen gilt als schwarz-grüne Türöffnerin. War also alles vergeblich, was die rot-rot-grünen Kennenlern-Runden brachten?

Wenn am Mittwoch mitten in Berlin die dritte der Podiumsdiskussionen stattfindet, dann stellen ihre Ideen zur Bürgerbeteiligung vor: Monika Lazar (45, Grüne), Sönke Rix (36, SPD) und Halina Wawzyniak (39, Linke) – alle Bundestagsabgeordnete, alle an Kooperation interessiert. „Das Leben ist bunter als Schwarz-Gelb“ nannten sie sich sowie ein Papier, in dem sie schon Anfang 2010 fanden, man müsse im Bund auch ohne CDU regieren können. Selbst wenn es für Rot-Grün nicht reicht.

„Linke im Bund noch nicht regierungsfähig“

Nun rückt die Wahl näher. Und Rot-Rot-Grün? „Der Gesprächsfaden ist nie abgerissen“, sagt Angela Marquardt (41), die ihre Karriere einst bei der PDS begann, nun lange bei der SPD und Geschäftsführerin der Denkfabrik des linken Parteiflügels ist. In den vergangenen drei Jahren habe die Runde sowohl Gemeinsamkeiten, als auch Unterschiede klarer herausgearbeitet. „Eine sehr wichtige Grundlage für alles, was folgen soll“, sagt Marquardt. Immerhin hätte es die rot-rote Landesregierung in Berlin ohne ähnliche langjährige Kontakte auch nie gegeben. Was aber Rot-Rot-Grün im Bund angeht, ist sie für 2013 skeptisch. „Ich halte die Linke im Bund noch nicht für regierungsfähig, und ich strebe das auch nicht an.“

Dabei verweisen die Umfragen genau auf das einst erahnte Szenarium: FDP und Piraten wären nicht im Bundestag, die SPD zu schwach für Rot-Grün. „Aber Rot-Rot-Grün liegt einfach nicht in der Luft“, sagt Sven Giegold. Der 42-Jährige sitzt für die Grünen im EU-Parlament, gründete einst Attac Deutschland mit – und dann, auch Anfang 2010, das Institut Solidarische Moderne (ISM). Linke Politiker aller Parteien wollten mit Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Wissenschaftlern Inhalte dafür erarbeiten – ein Programm für die linke Alternative. Dem sei man nicht viel näher, sagt er heute, was daran liege, dass die SPD-Führung immer noch die Linke ins Aus treiben wolle. „Dadurch sind von SPD-Seite kaum einflussreiche Leute in den Runden aktiv“, sagt er. „Es gilt in der SPD wohl als karriereschädlich.“

Blockade von den Spitzen

Bei der Linken dagegen ist ISM-Mitgründerin Katja Kipping (34) zur Parteichefin aufgestiegen. Ihre Partei wolle inzwischen mehrheitlich eine rot-rot-grüne Option – wenn bestimmte Inhalte gelten. Vor drei Jahren war Kipping selbst, als Pionierin der Kennlernrunden, noch unwohl beim Gedanken an einen Bundestag ohne linke Opposition. „Inzwischen habe ich SPD und Grünen viele Gesprächsangebote gemacht“, sagt sie. Es gebe viel Gemeinsames: Mindestlohn, Bürgerversicherung, Merkel ablösen. „Alles wird von deren Spitzen abgeblockt.“ Bei „R2G“, wie die Runde der Abgeordneten sich kurz nennt, sehen Sozis und Grüne aber nicht nur ihre Chefs, sondern auch die Linke als Grund für die Distanz. Deren bedingungsloses Grundeinkommen, Nato-Austritt und Ablehnung der Eurorettung verschrecken Rot-Grün.

Andererseits: Die Aufregung der Parteispitzen, die die ersten Annäherungen auslöste, ist verflogen. Der Kreis wächst, trifft sich ungeniert in den Kneipen im Regierungsviertel. Man muss in den großen Linien denken, sagen sie. Die Anfänge der schwarz-grünen Pizza-Connection lagen noch im alten Bonn. Und so viel wahrscheinlicher als Rot-Rot-Grün sei Schwarz-Grün nun auch nicht.

Quelle: www.berliner-zeitung.de [als PDF lesen]