Der DFB und die Steuern: Ein bewusster Akt?

Pressebericht, Frankfurter Allgemeine, 07.10.2020

Wieder steht der Deutsche Fußball-Bund im Visier der Justiz. Einige seiner Honoratioren sollen sich als Steuertrickser betätigt und dem Staat Millionen entzogen haben. Eine Serie von Hausdurchsuchungen betrifft auch aktuelle Verantwortliche.

Polizei vor der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise. Das scheint ein vertrautes Bild. Und doch überraschten die Fotos und Nachrichten von diesem Mittwoch. Hatte der größte Sportverband der Welt nicht feierlich versprochen, die Altlasten über Bord zu werfen und den Stall ein für allemal auszumisten? Das war schon der Anspruch von Reinhard Grindel gewesen, 2016. Der Schatzmeister folgte dem damaligen Präsidenten Wolfgang Niersbach, der mit seinem Krisenmanagement zum Skandal um das Sommermärchen 2006 grandios gescheitert war. Grindel wiederum griff als DFB-Boss mitten in einer als Aufarbeitungsphase stilisierten Selbstreinigung zum teuren Uhrengeschenk eines Oligarchen. Beim ungetrübten Blick auf die glänzenden Zeiger begriff er nicht, dass seine Zeit im gleichen Moment abgelaufen war.

Aber selbst die zweite Erneuerung mit dem unbelasteten, erst im Herbst 2019 aus Freiburg zum DFB gewechselten Fritz Keller an der Spitze entkommt nicht dem Bild einer in Zeiten von Glanz und Gloria geschaffenen Parallelwelt mit Folgen: Rund 200 Beamte der Steuerfahndung, des Bundeskriminalamtes und der Bundespolizei durchsuchten im Auftrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Mittwoch „Geschäftsräume“ des DFB sowie Privatwohnungen in fünf Bundesländern. Zum Schrecken von DFB-Mitarbeitern stehen nicht nur „ehemalige Verantwortliche“, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, im Verdacht der „schweren Steuerhinterziehung“, sondern auch „gegenwärtige“. Der DFB steckt wieder mittendrin.

 

Auslöser ist das Geld

Auslöser ist wieder das Geld. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen hat der DFB versucht, 4,7 Millionen Euro einer Besteuerung zu entziehen. Kein Zufall, kein Versehen, sondern, darauf legt die Anklagebehörde offenbar Wert, ein bewusster Akt. „Nach den bisherigen Ermittlungen besteht der Verdacht“, heißt es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft, „dass die Beschuldigten von dieser steuerlichen Unrichtigkeit wussten, sie aber bewusst wählten, um dem DFB hierdurch einen Steuervorteil von großem Ausmaß zu ermöglichen.“ Frei übersetzt: Hier sollen Steuertrickser am Werk gewesen sein. Honoratioren des DFB. Oder wären sie noch in Amt, falls sie an der Sommermärchenaffäre mitgedreht hätten?

Im Kern geht es um die Steuererklärungen der Jahre 2014 und 2015. Einnahmen aus der Bandenwerbung von Länderspielen des Männer-Teams in Deutschland sind nach Angaben der Ermittler „unrichtig als Einnahmen aus der Vermögensverwaltung erklärt“ worden. Gewinne aus der Vermögensverwaltung müssen nicht versteuert werden. Ein schöner Vorteil für gemeinnützige Verbände – falls die Definition eingehalten wird. Eine Vermögensverwaltung liegt nach § 14 Abgabenordnung „in der Regel vor, wenn Vermögen genutzt, zum Beispiel Kapitalvermögen verzinslich angelegt oder unbewegliches Vermögen vermietet oder verpachtet wird“.

Gewinne, etwa aus der Vermietung von Sportplätzen, Wertpapiererträge oder Einnahmen aus der Übertragung von Werberechten bleiben für eine gemeinnützige Organisation wie den DFB steuerfrei. Wenn er denn nicht selbst Hand anlegte. Denn Einnahmen aus einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb sind steuerpflichtig. Und das wirft die Staatsanwaltschaft dem Dachverband des deutschen Fußballs vor: Er habe zwar 2013 die Rechte zur Vergabe der Werbeflächen in den Spielstätten von Länderspielen zwischen 2014 und 2018 an eine schweizerische Gesellschaft verpachtet. Aber diesem Unternehmen soll bei der Auswahl der Werbepartner kein Handlungsspielraum geblieben sein.

Es soll sich laut der Ermittler verpflichtet haben, keine Rechte an Konkurrenten des Generalsponsors (damals Mercedes) und des Generalausrüsters (Adidas) zu vergeben. Stattdessen, das ist der neuralgische Punkt, soll der DFB trotz der Verpachtung der Rechte aktiv bei der Vergabe der Bandenwerbung mitgewirkt haben. Das wäre dann keine steuerfreie Vermögensverwaltung gewesen, sondern müsste dem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zugeordnet werden. „Je weiter man die aktive Geschäftsführung übernimmt, desto mehr ist man aus der Vermögensverwaltung raus und im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb drin“, erklärt Birgit Weitemeyer, Professorin für Steuerrecht an der Bucerius Law School im Hamburg.

 

Gravierende Folgen drohen

Schwere Steuerhinterziehung liegt in der Regel von 50.000 Euro an vor. Sollte sich der Verdacht bestätigen, könnten die Folgen gravierend sein: „Dann müsste der DFB diese 4,7 Millionen Euro nachbezahlen, zuzüglich sechs Prozent Zinsen im Jahr“, sagt Rainer Biesgen, ehemaliger Richter und heute auf Steuerstrafrecht spezialisierter Rechtsanwalt bei der Kanzlei Wessing & Partner in Düsseldorf. Auch für die Beschuldigten könnte es – immer abhängig vom Einzelfall – ernst werden: „Der BGH hat entschieden: Bei einer Hinterziehung von mehr als einer Million Euro drohen im Regelfall Haftstrafen ohne Bewährung“, fügte Biesgen hinzu. Zudem droht dem DFB die Aberkennung der Gemeinnützigkeit, zum zweiten Mal. Der letzte Fall, eine Folge der als Kulturausgabe im Zuge der WM 2006 deklarierten Überweisung von 6,7 Millionen Euro an den Fußball-Weltverband (Fifa), ist noch anhängig. Vorsorglich hatte der DFB vor zwei Jahren 22,57 Millionen Euro an den Fiskus gezahlt. Das Geld will er wiederhaben.

An diesem Mittwoch hielt sich der DFB mit einer Reaktion zurück. Präsident Keller erklärte, selbstverständlich bei der Aufklärung kooperieren zu wollen. Auf Fragen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wann die Steuererklärungen beim Finanzamt eingereicht wurden und wer sie unterschrieben habe, antwortete der Verband nicht. Nur so ließe sich zweifelsfrei erkennen, welche sechs Personen unter den schweren Verdacht geraten sind. Unterschrieben werden Steuererklärungen des DFB gemeinhin vom Präsidenten, vom Schatzmeister und vom Generalsekretär. Bis zum Herbst 2015 führte Niersbach den DFB. Bei ihm, schilderte er dem Sportinformationsdienst, habe keine Durchsuchung stattgefunden.

Nach Niersbach übernahmen zwei Funktionäre als Doppelspitze: die Juristen Reinhard Rauball und Rainer Koch, heute DFB-Vizepräsident. Dieser Übergangsregierung folgte 2016 Reinhard Grindel, zuvor Schatzmeister im DFB. Dessen Posten übernahm Stephan Osnabrügge. Generalsekretär Helmut Sandrock wich 2016 Friedrich Curtius. Sie alle kennen mehr oder weniger gut den Geschäftspartner des DFB in diesem kritischen Fall, den Sportrechte-Vermarkter Infront. Er gehört einer chinesischen Unternehmensgruppe. Geführt wird Infront vom Neffen des früheren Chefs des Weltverbandes, Joseph Blatter. Bis Mitte 2017 arbeitete auch Günter Netzer für das Unternehmen. Nach Korruptionsvorwürfen, die Mitarbeiter beider Seiten betrafen, hatte im Sommer zunächst der DFB den Vertrag gekündigt, Mitte September einigte man sich auf eine einvernehmliche Trennung. „Infront ist von diesen Ermittlungen nicht betroffen und wurde entsprechend auch nicht von den Ermittlungsbehörden kontaktiert“, teilt das Unternehmen mit. Weder Geschäftsräume noch Privatwohnungen von aktuellen oder ehemaligen Mitarbeitern seien durchsucht worden.

Solange kein Urteil gefällt ist, gilt die Unschuldsvermutung. Darauf bestehen selbst die kritischen Beobachter des DFB. Die Reaktionen aber zeugen von der Wirkung der Vorbelastung: „Wenn in diesem Land eine Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss beantragt und ein Gericht diesem folgt“, schrieb die Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Dagmar Freitag, auf Anfrage, „zeigt dies, dass der Vorwurf substantiell ist.“ Die Sprecherin der Grünen/Bündnis 90 für Sportpolitik, Monika Lazar, forderte den Präsidenten Keller auf, Stärke zu beweisen: „Er muss zeigen, dass er für einen organisatorischen und personellen Neustart beim DFB steht.“

Autoren: Anno Hecker, Gustav Theile

[Quelle: https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/im-visier-der-justiz-der-dfb-und-die-steuern-16991197.html]