Das Winterkorn-Problem des FC Bayern

Pressebericht, Die Welt, 18.05.2018

Der ehemalige VW-Boss hat nach dem Abgas-Skandal nur noch ein Amt inne: Aufsichtsrat beim Rekordmeister. Experten und Politiker kritisieren die Personalie, dem Branchenführer droht ein immenser Imageverlust. Doch der Klub schweigt über den Mann, der in den USA angeklagt ist.

Partys des FC Bayern sind immer Treffpunkt der deutschen Prominenz. Es geht auch um das Sehen und Gesehenwerden, der Fußball-Rekordmeister hat viele Fans in der Showbranche sowie der Wirtschaft - und auch Aufsichtsräte kommen gern mal zu den Feiern. Samstagabend lädt der Klub im Anschluss an das Finale im DFB-Pokal gegen Eintracht Frankfurt zum Bankett in der Hauptstadtrepräsentanz von Sponsor Telekom in Berlin, Sonntagmittag feiert die Mannschaft im Münchner Rathaus die Meisterschaft und möglicherweise den Pokalsieg.

Der Meister ist stolz darauf, dass einige der wichtigsten Wirtschaftsbosse Deutschlands seinem Aufsichtsrat angehören und sich mit ihm über seine Titel freuen. Ein Mitglied dieses Gremiums ist für den FC Bayern aber zum Imageproblem geworden: Martin Winterkorn. Der 70-Jährige steht zunehmend im Fokus, seine Kontrollfunktion für die Münchner sehen viele kritisch, die Rufe aus der Politik werden lauter. Fotos von ihm mit Klubverantwortlichen gibt es nicht zufällig schon seit längerer Zeit kaum.

Der ehemalige Volkswagen-Chef hat nach Bekanntwerden der Vorwürfe im Abgasskandal seine Ämter abgegeben - nur im Aufsichtsrat der Bayern blieb er. Früher war Winterkorn dort als Chef des VW-Konzerns - zu dem auch FCB-Anteilseigner Audi gehört - Mitglied. Seit seinem Rücktritt ist er persönliches Mitglied, auch auf Wunsch des Vereins. Er nimmt sein Amt sehr ernst und mit Leidenschaft an jeder Sitzung teil, heißt es aus Winterkorns Umfeld.

Der Aufsichtsrat ist aller Voraussicht nach im kommenden Sommer sogar an Spielertransfers beteiligt: Das aus neun Personen bestehende Gremium muss größere Summen für neue Stars absegnen, ehe Sportdirektor Hasan Salihamidzic und die Klubführung diese verpflichten können. Auch über einen möglichen neuen Vertrag für Vorstandschef Karl- Heinz Rummenigge, dessen Kontrakt bis Ende 2019 gilt, entscheidet der Aufsichtsrat.

Seine Internationalisierung ist dem Klub sehr wichtig, vor allem auf dem USMarkt wollen die Münchner wachsen. Von Ende Juli an absolvieren sie ihr von Audi gesponsertes Sommertrainingslager dort, mit Testspielen gegen Juventus Turin und Manchester City in Philadelphia und Miami. Eine Woche bereitet sich das Team in dem Land auf die neue Saison vor, in dem die Justizbehörden Haftbefehl gegen Winterkorn erlassen haben. Das Justizministerium wirft ihm Betrug vor, Winterkorn soll außerdem Teil einer Verschwörung zum Verstoß gegen US-Umweltgesetze und zur Täuschung der Behörden gewesen sein. Ihm drohen dort bis zu 25 Jahre Haft. Auch die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt gegen ihn, VW prüft Schadenersatzansprüche und der Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer hat eine Strafanzeige gegen Winterkorn eingereicht. Der Grünen-Politiker wirft ihm vor, den Untersuchungsausschuss belogen zu haben.

Winterkorn kann derzeit nicht in die USA reisen, ohne das Risiko einzugehen, verhaftet zu werden. Nun kommen die Fans in den USA nicht wegen des Aufsichtsrats ins Stadion. Doch förderlich für das Image der Bayern in den USA ist die Personalie wohl kaum, gerade in Gesprächen mit potenziellen Sponsoren aus Nordamerika könnten auf die Bayern unangenehme Fragen zukommen.

Christian Strenger ist der deutsche Experte für Governance, für gute und transparente Unternehmensführung. Der 74-jährige Wirtschaftswissenschaftler trägt das Bundesverdienstkreuz am Bande, war Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex und sagt im Gespräch mit WELT: "Martin Winterkorn ist bislang nicht rechtskräftig verurteilt. Also gilt auch für ihn die Unschuldsvermutung. Allerdings gibt es deutliche Erkenntnisse, auch durch den US-Haftbefehl, für seine aktive Rolle im Dieselskandal. Man sollte aber davon ausgehen, dass ein seriöser Aufsichtsrat sich schon im Eigeninteresse mit dieser Personalie befasst." Strenger fügt hinzu: "Dem Aufsichtsrat des FC Bayern ist dringend zu raten, nach einem intensiven Gespräch mit Herrn Winterkorn zu befinden, ob er weiterhin ein geeignetes Mitglied des Aufsichtsrats sein kann."

Gab es ein solches Gespräch mit Winterkorn? Oder ist dieses geplant? Der FC Bayern äußert sich zu der Personalie nicht, ließ einen Fragenkatalog von WELT für Präsident und Aufsichtsratschef Uli Hoeneß unbeantwortet. Dieser enthielt unter anderem folgende Fragen: Bleibt Martin Winterkorn Mitglied des Aufsichtsrats? Fürchtet der FC Bayern einen Imageschaden aufgrund der Ermittlungen gegen Winterkorn? Hat der FC Bayern Winterkorn geraten, sein Amt aus Rücksicht auf den Verein ruhen zu lassen oder abzugeben? Inwieweit sind die in der Satzung des FC Bayern festgehaltenen Werte des Klubs mit einem Aufsichtsrat in Einklang zu bringen, der sich der Ansicht der US-Behörden nach auf der Flucht befindet? Lädt der FC Bayern Winterkorn zu Spielen des Klubs ins Ausland ein?

Monika Lazar, Sprecherin für Sportpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, kritisiert das Schweigen des Klubs. Sie sagt WELT: "Auch wenn für Herrn Winterkorn die Unschuldsvermutung gelten muss, stände es ihm und dem FC Bayern angesichts der massiven Vorwürfe gut zu Gesicht, die Mitgliedschaft seiner Person im Aufsichtsrat des FCB zu überdenken, ruhen zu lassen oder ganz darauf zu verzichten. Dass der FC Bayern sich dazu bisher gar nicht verhält, ist nicht nachzuvollziehen."

Der Fall Winterkorn ist nicht der erste, der Fragen zu dem Bild aufwirft, das der Klub gern von sich zeichnet - als "FC Seriös" bezeichnete Rummenigge seinen Klub mal. Nach einem Testspiel in Saudi- Arabien vor drei Jahren, das ein PRDebakel für die Bayern war, gründete die Klubführung eigens die Abteilung Public Affairs, seitdem betreibt der Klub Lobbyarbeit in alle Richtungen und ist sehr um ein sauberes Image bemüht. Die Wintertrainingslager in Katar und die Sponsorenverträge mit Qatar Airways und dem Flughafen Doha sehen viele Fans des Klubs sehr kritisch.

Zu Spielen in der Champions League wird Winterkorn in nächster Zeit wohl nicht reisen, auf den Trip zum Halbfinalrückspiel in Madrid soll er angeblich sicherheitshalber verzichtet haben. Grund: Viele EU-Länder haben mit den USA Verträge hinsichtlich der Auslieferung geschlossen. Deutschland hat kein Auslieferungsabkommen mit den USA, das für deutsche Bürger gilt. Winterkorn lebt in einer Villa in München-Bogenhausen, bei Bundesligaspielen ist er immer wieder auf der Ehrentribüne des Münchner Stadions zu sehen. Zum Pokalfinale nach Berlin wird er nach WELT-Informationen wegen privater Termine nicht reisen. Ein Besuch im Olympiastadion wäre auch pikant gewesen: Sponsor des Spiels ist VW, Winterkorn wäre wohl auf viele ehemalige Kollegen getroffen.

Nicht nur den FC Bayern betrifft der Fall Winterkorn. Auch das Image der Bundesliga generell könnte beschädigt werden, die Münchner sind das Aushängeschild der Liga, die USA ein wichtiger Zukunftsmarkt. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) wollte sich auf Anfrage dieser Zeitung ebenfalls nicht äußern. Das Büro von Edmund Stoiber, wie Winterkorn Mitglied des Aufsichtsrates des FC Bayern, ließ eine Anfrage unbeantwortet. Auch Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Telekom, gehört dem Gremium an. Obwohl sein Unternehmen Trikotsponsor des Klubs ist, äußert auch er sich nicht. Aus dem Allianz-Konzern, Anteilseigner des FC Bayern, heißt es, die Angelegenheiten von Partnern werden nicht öffentlich kommentiert, bei Bedarf aber mit diesen besprochen. Beide Unternehmen verweisen auf den Klub.

Der FC Bayern hat drei Anteilseigner: Adidas, Audi und Allianz halten jeweils 8,33 Prozent der Aktienanteile an der AG. Audis Vorstandsvorsitzender Rupert Stadler gehört wie Winterkorn dem Aufsichtsrat der Bayern an. Ob die drei Unternehmen auf die Abberufung Winterkorns drängen, ist nicht bekannt. Das Kraftfahrt-Bundesamt geht dem Verdacht auf Abgasmanipulationen in den Audi-Modellen A6 und A7 nach, Audi stellt den Bayern-Spielern und Bossen um Hoeneß und Rummenigge Autos.

Winterkorn selbst will sich dem Vernehmen nach erst nach Akteneinsicht seiner Anwälte zu den schweren Vorwürfen gegen ihn äußern. Sein Anwalt Dr. Felix Dörr ließ eine Anfrage von WELT zum Aufsichtsrat des FC Bayern unbeantwortet.

Winterkorn ist mit Uli Hoeneß befreundet, beide gehen auch mal mit ihren Frauen in den "Südtiroler Stuben" von Spitzenkoch Alfons Schuhbeck in der Münchner Innenstadt essen oder gehen zum Basketball. Hoeneß selbst wurde wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Möglicherweise haben er und die anderen Mitglieder die Befürchtung, eine Abberufung Winterkorns würde wie eine Vorverurteilung ihrerseits wirken. Zudem hielt der Aufsichtsrat nach Bekanntwerden des Steuerskandals immer zu Hoeneß, ermöglichte ihm eine Rückkehr an die Vereinsspitze.

Wie entscheidend dürfen persönliche Verbindungen und Sympathien der Klubbosse sein? Wann muss die Verpflichtung gegenüber dem Verein ausschlaggebend sein? Inwiefern ist Winterkorn noch tragbar? Auch um diese Fragen geht es für die Bayern im Fall Winterkorn.

"Beim FC Bayern ist es - das zeigt die Personalie Hoeneß - auch nach rechtskräftiger Verurteilung möglich, sowohl im Verein als auch im Aufsichtsrat eine Führungsrolle zu besetzen. Da gelten offenbar andere Gepflogenheiten als in anderen Unternehmen", sagt Governance- Experte Strenger. "Uli Hoeneß ist rechtskräftig verurteilt. Es bleibt schwierig, dass er Vorsitzender eines Vereins ist, der ja auch Haupteigentümer eines großen Wirtschaftsunternehmens ist. Denn der Aufsichtsrat ist vor allem für die Kontrolle und ordnungsgemäße Führung des Unternehmens verantwortlich."

Nach dem Bekanntwerden des Abgasskandals hatte Hoeneß seinen Freund Winterkorn noch geschützt. Der sei "ein toller Mensch", so Hoeneß 2016 im "Manager Magazin". "Wir arbeiten beim FC Bayern sehr gut mit ihm zusammen, sein Rat ist uns wichtig."

Hoeneß betonte damals, Winterkorn sei bis 2018 gewählt. Möglicherweise will der Klub die Amtsperiode Winterkorns auslaufen lassen und spekuliert darauf, dass Winterkorn so lange rechtlich nicht belangt wird. Governance-Experte Strenger sagt: "Im Falle einer Verurteilung müsste der FC Bayern Winterkorn dann möglicherweise raten, den Aufsichtsrat zu verlassen. Seine Tribünenkarte auf Lebenszeit würde er wohl trotzdem behalten dürfen …"

Ein seriöser Aufsichtsrat befasst sich schon im Eigeninteresse mit dieser Personalie.

Autoren: Julien Wolff, Philipp Vetter

[Quelle: www.welt.de]