Rechte intersexueller Menschen

Plenarrede am 16.5.2013 zu TOP 19:

Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor anderthalb Jahren haben wir im Bundestag auf Initiative der grünen Bundestagsfraktion zum ersten Mal über das Thema Intersexualität diskutiert. Bei der Debatte über den grünen Antrag haben sich Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen dem Thema Intersexualität mit viel Empathie zugewandt. Mit Freude habe ich bei Ihnen viel Verständnis gemerkt, was unsere Forderungen betrifft, und große Bereitschaft gespürt, den intersexuellen Menschen zu helfen.

Allerdings haben die Kolleginnen und Kollegen von der Koalition immer wieder auf die Arbeit des Deutschen Ethikrates hingewiesen. Nun liegt seine Stellungnahme nebst zahlreichen Handlungsempfehlungen seit über einem Jahr dem Bundestag vor. Auch darüber haben wir bereits vor einem Jahr diskutiert.
Als wir im November 2011 unseren Antrag eingebracht haben, haben wir ihn absichtlich sehr moderat formuliert. Wir hofften, andere Fraktionen für das Thema zu sensibilisieren und sie zu einem interfraktionellen Antrag zu überzeugen. Danach haben wir Vertreterinnen und Vertreter alle Fraktionen zu gemeinsamen Gesprächen eingeladen. Die Bereitschaft schien groß zu sein, intersexuellen Menschen gemeinsam zu helfen. Zu meinem Bedauern war das ein irrtümlicher Eindruck. Schon bald hat die Koalition erneut bewiesen, dass sie außer emphatischen Worten intersexuellen Menschen wenig zu bieten hat.

Bei der Novellierung des Personenstandsrechts im Januar dieses Jahres hat sie vier Tage vor der abschließenden Abstimmung einen Änderungsantrag eingebracht, der lediglich eine einzige Forderung von unserem grünen Antrag umgesetzt hat. Es wurde entschieden, dass bei Geburt eines intersexuellen Kindes der Personenstandsfall ohne Angabe zum Geschlecht in das Geburtenregister einzutragen ist. Diese grundsätzlich zu begrüßende Änderung, die der Existenz der intersexuellen Menschen Rechnung trägt, könnte aber auch Nachteile für die betroffenen Menschen bringen. Ohne gleichzeitig gesellschaftlicher Ausgrenzung intersexueller Menschen entgegenzuwirken, kann diese neue Regelung zu Stigmatisierung führen.

Hat sich die Koalition überhaupt Gedanken gemacht, was mit intersexuellen Kindern ohne Geschlechtsantrag im Kindergarten oder in der Schule passiert? Sind diese Einrichtungen darauf vorbereitet? Wie sollen diese Kinder an den Sportunterrichten teilnehmen? Wie werden andere Kinder und deren Eltern auf sie reagieren? Sind Lehrerinnen und Lehrer oder Schulpädagoginnen und Pädagogen für solche Situation vorbereitet?

Für die wirkliche Unterstützung intersexueller Menschen ist dagegen eine ganze Reihe von Maßnahmen erforderlich, die wir in unserem neuen Antrag von der Bundesregierung fordern.
Zunächst aber wollen wir, dass der Bundestag erlittenes Unrecht und Leid, das intersexuellen Menschen widerfahren ist, anerkennt und dies zutiefst bedauert. Intersexuelle Menschen, die in der Regel mehrfachen Operationen insbesondere im Säuglings- und Kindesalter unterzogen wurden, berichten nämlich, dass sie sich als Opfer von Verstümmelungen sehen und ihre Gefühle, Wut und Hass, sowie traumatische Erlebnisse noch Jahrzehnte lang und sehr intensiv erleben. Auch wissenschaftliche Nachuntersuchungen zeigen ein bedrückendes Bild.

Zweitens muss sichergestellt werden, dass geschlechtszuweisende und –anpassende Operationen an minderjährigen Intersexuellen Menschen vor deren Einwilligungsfähigkeit grundsätzlich verboten werden. Dabei muss gewährleistet sein, dass eine alleinige Einwilligung der Eltern in irreversible geschlechtszuweisende Operationen ihres minderjährigen Kindes - außer in lebensbedrohlichen Notfällen - nicht zulässig ist. Bei einer medizinischen Indikation muss diese stets von einem qualifizierten interdisziplinären Kompetenzzentrum zur Diagnostik und Behandlung bestätigt werden.

Drittens soll die Möglichkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistands für Kinder und Jugendliche auch für die Fälle geschaffen werden, in denen eine Übereinstimmung zwischen dem ausdrücklichen Willen der Eltern und dem des/der intersexuellen Minderjährigen über die Frage der Einwilligung in geschlechtszuweisende Operationen besteht, damit die Rechte von intersexuellen Kindern und Jugendlichen gewahrt werden.

Darüber hinaus soll intersexuellen Menschen, die an Folgen der geschlechtszuweisenden Operationen leiden, die Kosten für daraus resultierende Hormonbehandlung sowie – falls notwendig - psychotherapeutische Unterstützung von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Schließlich handelt es sich um Folgekosten eines Eingriffes, die die Grundrechte der Betroffenen verletzt hat.

Ebenso ist es dringend notwendig, ein unabhängiges Beratungs- und Betreuungsangebot für betroffene Kinder, derer Eltern, betroffene Heranwachsende und Erwachsene, einschließlich Unterstützung ihrer Beratungs- und Selbsthilfeeinrichtungen, zu schaffen.

Ungeachtet der erwähnten Änderung im Personenstandsrecht fordern wir in unserem Antrag die Bundesregierung dazu auf, das Personenstandsgesetz – wie vom Deutschen Ethikrat und dem Bundesrat vorgeschlagen  -  so zu novellieren, dass sowohl Eltern von intersexuell geborenen Kindern als auch intersexuelle Erwachsene durch die Schaffung einer weiteren Geschlechtskategorie die Möglichkeit erhalten, im Geburtenregister mit Wirkung für alle Folgedokumente und mit Wirkung einer rechtlichen Gleichbehandlung, dauerhaft weder eine Zuordnung zum männlichen noch zum weiblichen Geschlecht vornehmen müssen. Diese neue Geschlechtskategorie ist gemeinsam mit den Betroffenenverbänden zu entwickeln.

Darüber hinaus soll intersexuellen Menschen eine vereinfachte Änderungsmöglichkeit der Vornamen sowie der ursprünglich durch ihre Eltern vorgenommenen Geschlechtskategorisierung eingeräumt und ein effektives Offenbarungsverbot gewährleistet werden.

Ferner beklagen intersexuelle Menschen, dass ihnen der Zugang zu ihren Krankenakten verwehrt bleibt. Oft erfahren sie über an ihnen im Säuglings- und Kindesalter durchgeführten Operationen erst im Erwachsenalter, wenn die ganze medizinische Dokumentation nicht mehr existiert. Deshalb ist es notwendig, eine Sonderregelung zu schaffen, nach der die Fristen für die Aufbewahrung von Krankenakten bei Operationen im Genitalbereich auf mindestens 40 Jahre ab Volljährigkeit verlängert werden und ein ungehinderter Zugang zu ihren Krankenakten gewährleistet wird.

Schließlich soll das bisher tabuisierte Thema Intersexualität in Fort- und Weiterbildungsangeboten für die Angehörigen der beteiligten Gesundheitsberufe integriert werden.
Ebenfalls soll das Thema ein fester Bestandteil des Schulunterrichts, beispielsweise in den Fächern Biologie, Sozialkunde oder Ethik , als auch bereits der frühkindlichen Bildung sein, da schon in der Kita Vorurteile entstehen und Stigmatisierung intersexueller Menschen entgegen gewirkt werden sollte.
Darüber hinaus soll es weiter möglichst interdisziplinär unter Beteiligung von Kultur-, Gesellschaftswissenschaften wie der Betroffenenverbände erforscht werden.

Neben dem grünen Antrag diskutieren wir heute auch über zwei Anträge der Fraktionen der SPD und Die Linke. Ich begrüße ausdrücklich die beiden Initiativen, die ähnliche Forderungen an die Bundesregierung stellen.
Ich wünsche mir aber, dass auch die Koalitionsfraktionen das Thema ernst nehmen und gemeinsam mit uns intersexuellen Menschen und deren Familien helfen.
Wir sind für die Zusammenarbeit stets bereit.
Seien sie es endlich auch!

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