Rede zum Gesetzentwurf zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses

67. Sitzung vom 14.11.2014

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines "Gesetzes zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages" - Drucksache 18/3007

b) Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
"Hasskriminalität wirkungsvoll statt symbolisch verfolgen" - Drucksache 18/3150


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Auffliegen des NSU setzte viele Aktivitäten in Gang: Untersuchungsausschüsse tagten, Aktenberge wurden angehäuft, und parlamentarische Beschlüsse wurden gefasst. Die rechtsterroristischen Morde haben Staat und Gesellschaft aufgerüttelt - für die Opfer und ihre Angehörigen leider zu spät. Hat all die Geschäftigkeit dazu geführt, dass potenzielle Opfer in Zukunft wirksamer vor rassistischer Gewalt geschützt sind? Werden die Missstände in den staatlichen Strukturen, die das Fiasko ermöglichten, beseitigt? Nun, damit stehen wir erst ganz am Anfang.
Gerade jährte sich die NSU-Selbstenttarnung zum dritten Mal. Wir gedachten vor wenigen Tagen der Opfer, während die Angehörigen bis heute vergebens auf die lückenlose Aufklärung warten, die ihnen einst auch Kanzlerin Merkel versprach. Weder wurde die Vernetzung des NSU umfassend offengelegt, noch das gravierende Versagen der Sicherheitsbehörden konsequent geahndet. Im Fokus steht das Fehlverhalten einzelner Bediensteter, aber nicht der strukturelle Rassismus, der das Klima für solche Ermittlungsfehler schafft und verstärkt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Rassismus zerstört unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir müssen ihn deshalb auf allen Ebenen bekämpfen.
Nun legt die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf vor, in dem unter anderem auf ein härteres Durchgreifen gegenüber Tätern von Hasskriminalität gesetzt wird. In § 46 Absatz 2 des Strafgesetzbuches sollen die Tatmotive "rassistisch", "fremdenfeindlich" und "menschenverachtend" künftig explizit benannt und bei der Strafzumessung stärker berücksichtigt werden.
Längere Haftstrafen hätten dann eine abschreckende Wirkung und dies wiederum würde zu weniger Opfern führen, so in etwa hat sich das Justizminister Maas wohl gedacht. Außerdem sollen die Staatsanwaltschaften bestimmte Tatmotive mehr beachten. Die Vorschläge allerdings gehen am Kern des Problems vorbei; denn wenn bereits bei der polizeilichen Erfassung rassistische Tatmotive unerkannt bleiben, können diese später auch bei der Strafzumessung keine Berücksichtigung finden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Zudem ist es so, dass viele Straftaten erst in den Statistiken der zivilgesellschaftlichen Opferberatungsstellen als Hasskriminalität sichtbar gemacht werden. Deren Zahlen liegen regelmäßig höher als die der offiziellen Polizeistatistik. Ein solches Erfassungsdefizit ist aber kein Problem der geltenden Rechtslage und lässt sich auch nicht mit der geplanten Paragrafenkosmetik ändern.
Wer etwas anwenden soll, muss dafür sensibilisiert werden. Die verschiedenen Formen von Hassdelikten müssen in Aus- und Fortbildungen vermittelt werden, damit die staatlichen Behörden und diejenigen, die dort arbeiten, damit umgehen können. Menschenrechtsarbeit und interkulturelle Bildung sind wichtig, und der Nachholbedarf ist leider nach wie vor groß.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

In unserem grünen Antrag zur Bekämpfung der Hasskriminalität betonen wir die Bedeutung einer konsequenten Ermittlung der Motive und der Verfolgung von Hasskriminalität. Sie richtet sich nicht nur gegen die einzelnen Menschen. Das Opfer wird aufgrund seiner tatsächlichen oder zugeschriebenen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe angegriffen. Besonders oft werden Menschen aufgrund der ethnischen Herkunft, sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, der Religion oder Weltanschauung oder einer Behinderung zum Ziel von Hassverbrechen. Auch diese Motive gehören unbedingt bei der rechtspolitischen Präzisierung in den Blick.
In einer Pressemitteilung des Lesben- und Schwulenverbandes vom heutigen Tag wird darauf verwiesen, dass es hier eine Regelungslücke gibt. Zudem gibt es weitere Kriterien, die von einer Expertenkommission hinsichtlich ihrer Berücksichtigung geprüft werden müssen. Das gilt zum Beispiel für Geschlecht, Alter, politische Einstellung und den sozialen Status in Bezug auf Wohnungslose und andere offenkundig sozial Ausgegrenzte.
Alle genannten Kriterien sind Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Ohne einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz kann eine Auseinandersetzung nicht gelingen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. André Hahn (DIE LINKE))

Ein Beitrag zur umfassenden Prävention ist auch die Stärkung des Bundesprogramms gegen Rechtsextremismus. Schon mehrfach jammerte Ministerin Schwesig öffentlich, dass sie mehr Geld für ihr neues Bundesprogramm "Demokratie leben!" braucht. In der Regierung konnte sie sich allerdings nicht durchsetzen.

(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Wir diskutieren hier über den Justizbereich, Frau Kollegin! Können Sie mal zur Sache sprechen? Es geht um das BMJ! - Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist keine Haushaltsberatung!)


- Ich habe fünf Minuten zu Ihrem Gesetzentwurf gesprochen. Ich nehme an, dass Ihnen, jedenfalls den Kolleginnen und Kollegen der SPD, das Bundesprogramm "Demokratie leben!" am Herzen liegt. Deshalb wollte ich Sie zum Schluss noch loben. Aber Sie haben es wahrscheinlich nicht verdient.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN - Dr. Eva Högl (SPD): Wir nehmen das Lob sehr gern an, Frau Lazar! - Tankred Schipanski (CDU/CSU): Frau Schwesig ist doch gar nicht da!)

- Frau Schwesig ist nicht da, aber die Mittel für ihr Bundesprogramm wurden gestern in der Bereinigungssitzung zum Haushalt um 10 Millionen Euro erhöht. Zumindest die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion haben sich darüber gefreut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Die grüne Bundestagsfraktion fordert seit vielen Jahren eine Erhöhung der Bundesmittel für Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auf jährlich mindestens 50 Millionen Euro. Deshalb ist das, auch wenn es noch nicht weit genug geht, ein Schritt in die richtige Richtung. Ich will hier das Positive in den Vordergrund stellen und mich lobend äußernd.
Ich hoffe, dass die 10 Millionen Euro auch der Opferberatung und den mobilen Beratungsstellen zugutekommen. Denn auch diese tragen dazu bei, Hasskriminalität besser zu erkennen. Dazu gehört auch, sich weiterhin an entsprechenden Aus- und Fortbildungen zu beteiligen. Mir war es jedenfalls wichtig, dass auch dieser Aspekte in dieser Debatte eine Rolle spielt.
Ich bedanke mich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

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