Rede Monika Lazars am 09.11.2006 im Deutschen Bundestag zum Thema Rechtsextremismus - Entwicklung der extremen Rechten

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
 
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Anfrage der Linksfraktion spricht an, was auch wir Grünen seit langem immer wieder betonen:
 
Rechtsextremismus wirkt heute in viele Bereiche der Gesellschaft hinein. Dies wird auch durch die aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung bestätigt. Die Bundesregierung sollte deshalb diese umfangreiche Anfrage nicht als lästige Fleißarbeit betrachten, sondern für eine inhaltliche Auseinandersetzung nutzen.
Das Klischee eines typischen Rechtsextremisten: jung, männlich, ungebildet, der wieder „normal“ wird, wenn er Freundin und Kinder hat, stimmt so nicht.
 
Zunehmend kommt es zur Gründung „nationaler Familien“, in denen die rechtsextremen Einstellungen weiter gelebt und in die Kindererziehung eingebracht werden. Auch Frauen engagieren sich zunehmend in rechten Parteien und Gruppierungen. Es gibt mittlerweile viele, die im Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus Selbstverwirklichung suchen und sich zunehmend organisieren.
 
Nicht nur die Grenzen zwischen den Geschlechtern werden durchlässiger. Auch Ländergrenzen verwischen immer mehr. Die Strukturen vernetzen sich international. Aber auch in der näheren Umgebung kann jeder Einzelne genügend Probleme erkennen.
 
Einige Beispiele dazu: Am vergangenen Wochenende wird die Journalistin Andrea Röpke in Brandenburg in einem Supermarkt von Rechtsextremen angegriffen; aber niemand half ihr bzw. steht für Zeugenaussagen bereit. In Parey wird Mitte Oktober ein Schüler mit einem antisemitischen Schild um den Hals von Mitschülern über den Schulhof geschickt. In Pretzien wird Mitte Juni bei einer so genannten Sonnenwendfeier das „Tagebuch der Anne Frank“ verbrannt und niemand der Anwesenden findet etwas dabei. In Ratingen kann ein Rentner eine Woche lang eine selbst gebastelte Hakenkreuzfahne von seinem Balkon hängen lassen, bevor Anwohner die Polizei verständigen.
 
Selbst die Polizei ist vor rechtsextremen Angriffen nicht mehr sicher, wie der Vorfall am letzten Wochenende in Gerwisch, wo einem Polizisten die Nase gebrochen wurde, oder der Übergriff aus dem Naziladen „Werwolf“ in Wismar, bei dem die Polizei mit Baseballschlägern bedroht wurde, zeigt. Auch bei Fußballspielen kommt es immer wieder zu rassistischen und antisemitischen Hetzparolen und Übergriffen in und um die Stadien.
 
Es ist beunruhigend, wie oft rechtsextreme, rassistische und antisemitische Ideologie in den Köpfen scheinbar ganz normaler Menschen zu finden ist. Die Ergebnisse von Studien und Umfragen sind meist ernüchternd; die Ergebnisse der aktuell vorliegenden Studie wurden heute schon mehrfach erwähnt. Solche Einstellungen sind aber sozialer und politischer Zündstoff.
 
Die Frage ist nun: Wie können wir dieser gefährlichen Entwicklung entgegenwirken? Zum einen brauchen wir Schadensbegrenzung. Das heißt, wir müssen verhindern, dass sich das Problem ausweitet.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
 
Zum Zweiten brauchen wir – das ist die eigentliche Aufgabe, wenn wir langfristig Erfolg haben wollen – präventive Ansätze. Wir müssen deshalb Initiativen stärken, die sich für mehr Demokratie vor Ort einsetzen. Das neue Bundesprogramm soll dazu beitragen. Leider hat es einen entscheidenden Fehler: Es verwehrt lokalen freien Trägern, Anträge auf Bundesförderung zu stellen. Vielmehr müssen sie bei den Kommunen betteln gehen. Die Kommunen sind meist überfordert und selbst Teil des Problems. Wir fordern daher von der großen Koalition ein gleichberechtigtes Antragsrecht für freie Träger und Kommunen.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
 
Ein wichtiger Baustein der Prävention ist eine Bildungspolitik, die, angefangen von der Kita bis hin zur Erwachsenenbildung, auf die Vermittlung demokratischer Kompetenzen setzt. Basis dafür ist ein Menschenbild, das von Anerkennung, Toleranz und Gleichberechtigung geprägt ist.
 
Viele Jugendliche geraten über Angebote im vorpolitischen Raum in die Neonaziszene. Hier sind die Länder und Kommunen in der Pflicht, Orte zu schaffen und zu erhalten, die jungen Menschen gemeinschaftliches Engagement ermöglichen. Die Mittel für Jugend-, Sozial- und Kulturarbeit dürfen nicht weiter gekürzt werden. Sie sind eine Investition in die demokratische Zukunft unseres Landes.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
 
Wir dürfen uns nicht damit herausreden, dass der Bund nicht zuständig ist; denn hier ist jeder gesellschaftliche Bereich gefragt.
Aber auch jeder Einzelne in seinem Alltag ist verantwortlich. Für uns Politikerinnen und Politiker gilt das ebenso. Wir müssen die Sorgen der Leute ernst nehmen und uns glaubwürdig um deren Probleme kümmern. Wenn die demokratische Politik das nicht schafft, dann tun das andere.
 
Ich wünsche mir, dass wir der Bevölkerung ein gutes Beispiel geben und in diesem Punkt einen gemeinsamen demokratischen Konsens finden.
Vielen Dank.
 
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

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