ARD, tagesschau.de, 27.04.2007

Aufmärsche von Neonazis am 1. Mai - "Regierung stellt sich blind und taub"
 
Neonazis wollen am 1. Mai in allen Teilen Deutschlands aufmarschieren. Doch der Bundesregierung liegen nach eigenen Angaben keine Erkenntnisse darüber vor, dass sich NPD und andere Gruppierungen bei ihren Aufmärschen koordinieren. Recherchen von tagesschau.de belegen das Gegenteil. Die Zusammenarbeit ist in diesem Jahr sogar besonders intensiv. Und die Opposition wirft der Regierung vor, den organisierten Rechtsextremismus zu verharmlosen.

Von Patrick Gensing, tagesschau.de

NPD und Neonazis wollen am Internationalen Tag der Arbeit in mehreren deutschen Städten aufmarschieren und setzen dabei auf eine Verteilung über das gesamte Bundesgebiet: Die Veranstaltungen sollen in Neubrandenburg (Nordost), Vechta (Nord), Dortmund (West), Erfurt (Südost), Rüsselsheim und Raunheim (Südwest) sowie in Nürnberg (Süd) stattfinden. Von einer zentralen Demonstration zum 1. Mai sieht die NPD in diesem Jahr ab. Die rechtsextreme Partei mobilisiert bereits bundesweit zu ihren Aufmarsch am 2. Juni in Schwerin gegen den G8-Gipfel. Offensichtlich sind zwei bundesweite Veranstaltungen innerhalb weniger Wochen zu viel für Partei und Anhänger.

Die Linksfraktion stellte zum Thema Neonazis und 1. Mai eine Anfrage im Bundestag: Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über Absprachen verschiedener rechtsextremer Kräfte zur Koordination bundesweiter Aktivitäten vor? Die Antwort der Regierung: Keine.

"Koordination bisher erfolgreich"
Dabei beobachten Experten und Verfassungsschützer bereits seit Monaten sehr wohl Absprachen und eine enge Zusammenarbeit der rechtsextremen Akteure auf den 1. Mai hin, den die Neonazis in einen "Tag der deutschen Arbeit" umdeuten wollen. Der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern teilte auf Anfrage von tagesschau.de mit, es gebe bei dem geplanten Aufmarsch in Neubrandenburg eine Kooperation zwischen NPD und anderen Neonazi-Gruppen. Auch ein Sprecher des bayerischen Verfassungsschutzes bestätigte dies bezüglich des Aufmarsches in Nürnberg. Die Integration vieler Neonazi-Kader in die NPD zeigt bereits seit langem die enge Zusammenarbeit, hieß es. Dies gelte auch für die Veranstaltung am 1. Mai.

Bei dem geplanten Aufmarsch in Dortmund wird besonders deutlich, dass NPD und Neonazi-Kader gemeinsam agieren und ihre Aufmärsche koordiniert haben. Dort wird neben NPD-Chef Udo Voigt auch der Hamburger Neonazi Christian Worch sprechen, der die NPD sonst gerne öffentlich kritisiert. Dagmar Pelzer, Sprecherin des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen, teilte tagesschau.de mit: Die 1. Mai-Demonstration in Dortmund "wird von den Freien Kräften veranstaltet und von Mitgliedern der NPD unterstützt." Sie sei ein Beispiel für die Zusammenarbeit der Akteure.

Worch selbst hatte bereits Anfang des Jahres seine für den 1. Mai in Leipzig angemeldete Demonstration zu Gunsten der NPD-Veranstaltung in Erfurt abgesagt. Dies sei der "Versuch einer Koordination zwischen NPD und parteifreien Kräften", der "überwiegend bisher wohl erfolgreich" sei, schrieb er auf einer Neonazi-Seite. Auf Anfrage präzisierte Worch: Damit solle vermieden werden, dass Demonstrationen zum Thema 1. Mai von verschiedenen Veranstaltern örtlich derartig dicht beeinander liegen, "dass die Mobilisierung sich überschneidet und damit gewissermaßen ein Konkurrenzverhältnis entsteht." Die Führung der NPD sowie "parteifreie Kräfte" seien sich einig, dass es in der Region Sachsen/Thüringen am 1. Mai nur eine Demonstration geben sollte, so Worch. NPD-Sprecher Klaus Beier bestätigte die Angaben über erfolgte Absprachen.

"Es wird verharmlost, wo es nur geht"

Monika LazarDie Rechtsextremismus-Expertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Monika Lazar, kommentierte die Antwort der Bundesregierung zum 1. Mai gegenüber tagesschau.de: "Anscheinend blendet die Regierung alle derartigen Signale aus dem ultrarechten Lager aus." Die Antwort "legt nahe, dass die Bundesregierung sich blind und taub stellt und sämtliche Verlautbarungen aus dem rechtsextremen Spektrum konsequent ignoriert. Teilweise funktioniert der Informationsfluss im verfassungsfeindlichen Lager heute besser als unter Demokratinnen und Demokraten."

Ulla Jelpke von der Linksfraktion sagte, für die Bundesregierung sei Rechtsextremismus offenbar nur dann ein Problem, wenn er dem Image Deutschlands im Ausland schade. Man scheine nach der Maxime zu handeln: "Je weniger die faschistische Gefahr in der Öffentlichkeit bekannt wird, desto besser. Darum wird verharmlost, wo es nur geht."

Das Bundesinnenministerium hat sich auf Anfrage von tagesschau.de bislang nicht zu der offensichtlichen Koordination von NPD und anderen Neonazis bei der regionalen Verteilung ihrer Aufmärsche über das gesamte Bundesgebiet geäußert.

 

Quelle: ard, tagesschau.de

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