POLIXEA vom 22.06.2007

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Der Nazi-Ideologie entgegentreten, wo immer man kann

Monika Lazar, MdB, will zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen der grünen Bundestagsfraktion Gegenstrategien in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremen entwickeln. Eine von der Fraktion in Auftrag gegebene Studie zum Rechtsextremismus im ländlichen Raum hat dazu verschiedene Empfehlungen für Parteien, Verbände, Kirchen und Kommunen entwickelt. Sie selbst, schreibt Lazar in ihrem Namensbeitrag, trete seit vielen Jahren der Nazi-Ideologie entgegen, "wo immer ich kann", und hofft, dass es ihr möglichst alle Demokratinnen und Demokraten nachmachen werden.

Monika Lazar (B 90/Die Grünen) ist Mitglied im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags und Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus.Rassismus und Antisemitismus sind höchst aktuelle Probleme in unserer gesamten Gesellschaft. Alltagserfahrungen und Wahlergebnisse zeigen aber auch, dass im ländlichen Raum Nazis oft auf weniger effizienten Widerstand treffen als in urbanen Regionen. In Dörfern und Kleinstädten werden etwa NPD-Mitglieder teils als die „netten Nachbarn von nebenan“, die man noch aus der Schulzeit kennt, akzeptiert und ihre politischen Positionen verharmlost oder gar geteilt. Der klischeehafte Skin mit Glatze und Springerstiefeln, von dem sich die bürgerliche Mitte sofort abgrenzen würde, ist heute im Nazi-Spektrum zur Ausnahme geworden.

Die grüne Bundestagsfraktion will in der Auseinandersetzung mit Nazis spezifische Gegenstrategien entwickeln. Deshalb gab sie im vergangenen Jahr eine Studie zum Rechtsextremismus im ländlichen Raum in Auftrag. Diese Studie sollte die Besonderheiten zivilgesellschaftlichen Engagements im ländlichen Raum, aber auch zwischen Ost- und Westdeutschland, exemplarisch erforschen, vorhandene Formen demokratischer Intervention darstellen, die Rolle der Bundesprogramme beleuchten und Empfehlungen für Politik und Gesellschaft aussprechen.

Unter dem Titel „Grenzen lokaler Demokratie – Zivilgesellschaftliche Strukturen gegen Nazis im ländlichen Raum“ wurde die Studie am 20. Juni 2007 der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie enthält eine Reihe sehr interessanter Ergebnisse, die uns alle zu mehr Problemsensibilität und Engagement herausfordern: Das Problem liegt im Denken großer Bevölkerungsteile, nicht im Handeln sog. extremer Randgruppen. Unabhängig von Bildung, Alter, Geschlecht oder sozialem Status trifft man in Deutschland auf hohe Zustimmung zu rassistischen und antisemitischen Einstellungen. In ländlichen Regionen, in denen eine Vielfalt von Angeboten häufig fehlt, treten die Erscheinungsformen verstärkt zutage. Alternative Anti-Nazi-Initiativen haben oft einen schweren Stand, abweichende Meinungen werden kaum toleriert.

Im ländlichen Raum hängt bürgerschaftliches Engagement stark vom aktiven Einsatz der Verwaltungseliten – insbesondere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister – ab. Sie geben vor Ort an, was gesellschaftlich akzeptabel ist und was nicht. So gelingt es politischen Gruppen, die sich nicht in das „von oben“ vorgegebene Schema einfügen, oft nicht, mit ihrer Kritik zu den kommunalpolitisch Verantwortlichen durchzudringen. Wer Kritik an den Behörden übt, gilt schnell selbst als extrem, wie viele der geführten Interviews belegen.

Es ist nicht akzeptabel, dass Gruppen, die für mehr Demokratie eintreten, ins Abseits gedrängt und ausgegrenzt werden, sobald sie partiell einen Konsens mit einem großen Vor-Ort-Bündnis verweigern. Wenn etwa einer Familie mit schwarzer Hautfarbe, die sich diskriminiert fühlt, nahegelegt wird, sich besser anzupassen, zeigt das eine wenig sensible Haltung. Wer solche Vorfälle als Rassismus benennt – oder gar als institutionellen Rassismus – findet sich auch im Abseits. So wird die Stimme unmittelbar Betroffener oft selbst dort unterdrückt, wo gleichzeitig öffentlichkeitswirksam Statements gegen Rassismus zu hören sind. Bedrückend ist, dass dieser Widerspruch vielen gutwillig Engagierten nicht bewusst wird – oder sie nichts davon hören wollen. Auch solche Menschen und Institutionen, die sich gegen Nazis wenden wollen, müssen oft noch mehr Gespür für Alltagsrassismus, manchmal sogar für eigene Ressentiments, entwickeln.

Eine Auseinandersetzung mit Demokratiedefiziten in unserer Gesellschaft, und besonders im ländlichen Raum, ist offenbar dringend erforderlich. Die Studie listet differenzierte Empfehlungen für verschiedene Ebenen der Gesellschaft auf:

EMPFEHLUNGEN FÜR ALLE EBENEN:
- inhaltliche Auseinandersetzung mit Einstellungen statt Auseinandersetzung mit Randgruppen
- den Begriff „Rechtsextreme“ durch „Nazis“ ersetzen

EMPFEHLUNGEN FÜR BUND UND LÄNDER EMPFEHLUNGEN FÜR ALLE EBENEN:
- wissenschaftliche Konzept entwickeln, die über die Jugendarbeit hinausreichen, um über Erwachsenen- und betriebliche Weiterbildung, sowie Bildungsarbeit von Parteien, Vereinen und Verbänden in gesellschaftliche Regelstrukturen wie Ausbildung, berufliche Tätigkeit und Freizeitorganisation hineinzuwirken
- Förderschwerpunkte schaffen, die Anreize für liefern, solcher Konzepte umzusetzen
- kommunale Verwaltungsspitzen in der Auseinandersetzung mit Nazis unterstützen durch Fortbildungsangebote und die Darstellung von Modellprojekten
- extra-kommunale symbolische Anerkennung dissidenter Gruppen (durch Preise, Einladungen, öffentliche Anerkennung)
- extra-kommunale Anlaufstellen mit Beratungs- und Koordinationscharakter für dissidente Gruppen fördern, um Möglichkeiten zur Kritik an den kommunalen Verwaltungen zu eröffnen
- über einen Teil der finanziellen Förderung möglichst fern von der betroffenen Kommune entscheiden
- professionelle Angebote der Mobilen Beratung und der Opferarbeit als langfristige Strukturen erhalten und weiterentwickeln
- pädagogisches Personal der Schulen zur Auseinandersetzung mit Nazis (inhaltliche Auseinandersetzung, Durchsetzen von Grenzen) ausbilden
- PädagogInnenausbildung und Lehrpläne ergänzen um die Auseinandersetzung mit den Elementen der Naziideologie

EMPFEHLUNGEN FÜR PARTEIEN:
- parteilicher Druck auf die kommunal Verantwortlichen, gegen lokale Naziprobleme öffentlich aktiv zu werden
- Verwaltungsspitzen dazu bewegen, aktiv gegen bestehende Demokratiedefizite vorzugehen
- kommunalen Verwaltungsspitzen die Akzeptanz von Dissens nahe bringen
- Auseinandersetzung mit den Elementen der Naziideologie in das Programm der Bildungsangebote der Parteien aufnehmen

EMPFEHLUNGEN FÜR VEREINE, VERBÄNDE UND KIRCHEN:
- pädagogisches Personal zur Auseinandersetzung mit Nazis (inhaltliche Auseinandersetzung, Durchsetzen von Grenzen) ausbilden
- Auseinandersetzung mit den Elementen der Naziideologie in das Programm auf Mitglieds- und Funktionärsebene aufnehmen
- Bekenntnisse zur Naziszene ächten
- Signale setzen, z.B. durch Untersagen des Tragen einschlägiger Symbole oder Kleidungsstücke
- Sorge tragen, dass Vereine nicht zu No-Go-Areas für Naziopfer werden
- ein Diskriminierungsverbot ins Selbstverständnis aufnehmen

EMPFEHLUNGEN FÜR DIE KOMMUNEN:
- inhaltliche Auseinandersetzung mit Nazipositionen und -argumentationsmustern im konkreten kommunalen Rahmen suchen (über die Lokalpresse, Postwurfsendungen etc.)
- Maßnahmen, die dem Empowerment von potentiellen Opfern der Nazis dienen
- potentiellen Opfern von Nazis bzw. den von ihnen gebildeten Gruppen und Initiativen in der Auseinandersetzung mit Nazis besonderes Gehör schenken; ihre Menschenwürde gerade auch gegen die gesellschaftlich verbreiteten Vorurteile durch eine möglichst weitgehenden Einbeziehung und Unterstützung stärken
- öffentliche mit den Opfern von Nazis solidarisieren
- selbstverwaltete und partizipative Angebote unterstützen
- Erreichbarkeit der Angebote in der Jugendarbeit konzeptionell berücksichtigen

Die vielfältigen Anregungen sollten von allen Angesprochenen erwogen und nach Möglichkeit umgesetzt werden. Ich selbst trete seit vielen Jahren der Nazi-Ideologie entgegen, wo immer ich kann. Aus Erfahrung weiß ich, dass ein vernetztes, gemeinsames Vorgehen für den Erfolg entscheidend ist. Bündnisse dürfen aber andererseits nicht dazu führen, dass engagierte Anti-Nazi-Gruppen, die abweichende (gewaltfreie) Ausdrucksformen für ihren Widerstand wählen, abgewertet und ausgegrenzt werden. Der Beitrag jedes Demokraten und jeder Demokratin ist wertvoll für unsere Gemeinschaft.

Weblink: www.polixea-portal.de

 

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