Polizeimaßnahmen und Strategien gegen Rechtsextremismus in Mecklenburg – Vorpommern

"Polizeitour 2012" am  08.06.2012

Ablaufplan

10:00 - 11:30 Gemeinsames Gespräch mit Herrn Innenminister Lorenz Caffier, dem Abteilungsleiter für Polizei, Brand- und Katastrophenschutz Herrn Niehörster und dem Abteilungsleiter für Verfassungsschutz Herrn Müller.
Ort: Innenministerium MV, Arsenal am Pfaffenteich, Alexandrinenstraße 1, Schwerin
12:30 - 14:00 Besuch der Landeszentrale für politische Bildung und Gespräch mit Herrn Jochen Schmidt anlässlich des Landesprogrammes "Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken“; hier werden landesweit Präventionsprojekte im Zusammenhang mit dem Rechtsextremismus koordiniert - Überblick über die Aktionen des Landes MV
Ort: Landeszentrale für politische Bildung MV, Jägerweg 2, Schwerin
14:00 - 15:00 Selbstständige Anfahrt der Polizeiinspektion Wismar  
15:00 - 16:00 Besuch der Polizeiinspektion Wismar mit einem Gespräch mit PI-Leiter Dr. Michael Peters, Herrn Joachim Arlom, Abteilung 3 des LKA und einem Mitarbeiter der MAEX.
Gespräch zu den Veröffentlichungen zu Jamel und dem Thing-Haus in Grevesmühlen - bundesweite Aufmerksamkeit - die polizeiliche Sicht.
Ort: Polizeiinspektion Wismar, Rostocker Str. 80, Wismar

Veranstaltungsbericht

Seit 2007 informiert die Grüne Bundestagsfraktion sich in den neuen Bundesländern vor Ort über die Bekämpfung von Rechtsextremismus durch Innenministerium, Polizei und Zivilgesellschaft. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen um den „Nationalsozialistischen Hintergrund“ (NSU) ist die Verbesserung des Umgang mit politisch motivierter Gewaltkriminalität von rechts dringlicher denn je. Mit Mecklenburg-Vorpommern wird die Besuchsreihe im Juni 2012 von den Bundestagsabgeordneten Wolfang Wieland, Monika Lazar und Dr. Harald Terpe komplettiert. Der Landtagsabgeordnete Johannes Saalfeld hat sich angeschlossen.

Diskussionsveranstaltung in Rostock:

 "Licht ins Dunkel: Rechtsextreme Strukturen aufdecken, gesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten aufzeigen"

Unterstützt von der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen in Mecklenburg – Vorpommern haben wir unseren Besuch für eine Podiumsdiskussion in der Heinrich-Böll-Stiftung in Rostock genutzt. Neben Wolfgang Wieland diskutierten Jürgen Seidel, Chefredakteur des Nordkuriers, und Dr. Gudrun Heinrich von der Universität Rostock mit 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Nachdem Wolfgang Wieland aus dem NSU-Untersuchungsausschuss über Pleiten und Pannen bei der Aufklärung der unglaublichen Machenschaften der rechten Terrorgruppe NSU berichtet hat, gab Michael Seidel Einblick in seine investigativen Recherchen über die rechte Szene in Mecklenburg- Vorpommern. Dr. Gudrun Heinrich beleuchtete die Integration von rechtem Gedankengut in der Gesellschaft und strategische Ansätze in der Bekämpfung. Viele TeilnehmerInnen berichten in der Debatte über die immensen Probleme mit der NPD und Rechtsextremismus, die sie alltäglich erleben.

Innenministeriumin Schwerin

In Mecklenburg-Vorpommern ist die Bekämpfung von Rechtsextremismus eine Priorität für Innenministerium, Verfassungsschutz und Polizei. Diese Prioritätensetzung ist nicht immer leicht umzusetzen, denn die stetige Auseinandersetzung mit Rechten bindet sehr viel Personal und stellt damit eine große Belastung dar, vor allem in Zeiten des Personalabbaus.


NPD festigt rechtextreme Strukturen und bindet Kameradschaften ein


Beim Besuch im Innenministerium in Schwerin berichtet Innenminister Lorenz Caffier, dass sich die rechtsextremen Strukturen im Land mit dem Einzug der NPD in den Landtag stark gefestigt haben. Insbesondere in Orten wie Anklam oder Wismar, in denen Funktionäre der Partei wohnen, ist Rechtsextremismus ein allgegenwärtiges Problem. Die NPD nutzt die Privilegien, die mit dem parlamentarischen Status verbunden sind, intensiv aus. Die finanziellen Mittel der Partei werden überwiegend für großflächig angelegte Öffentlichkeitskampagnen verwendet. Abgeordnetenbüros werden als Versammlungsorte genutzt, so dass die Arbeit der NPD unter dem Schutz der Abgeordnetentätigkeit schwieriger zu kontrollieren ist. Die freien Kameradschaften sind mittlerweile eng an die Partei gebunden und führen Drecksarbeiten aus, mit denen die NPD nicht direkt in Verbindung gebracht werden möchte.


Neue Wählerstrukturen unter dem Deckmantel des bürgerlichen Kümmerers

Die NPD bleibt ihrer Strategie treu, sich neue Wählerschichten unter dem Deckmantel der Bürgerlichkeit zu erobern. Sie dringt dazu in gesellschaftliche Strukturen vor Ort ein, indem sie sich als Kümmerer für alle Lebenslagen geriert, wo andere Parteien und staatliche oder zivilgesellschaftliche Stellen fehlen oder zu wenig sichtbar sind. Es werden beispielsweise Zeltlager und Kinderfeste organisiert, kostenlose Zeitungen mit nützlichen Informationen wie dem Freistellungsantrag für GEZ-Gebühren verteilt oder eine Hartz-4 Sprechstunde angeboten. Dazu passt, dass die Partei auf Bewegung von unten legt und einen besonderen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf Kommunalpolitik setzt. Die Arbeit ihrer Mitglieder in den Kommunalvertretungen wird durch Schulungen professionalisiert. Anscheinend mit gewissem Erfolg: anstelle des Prototypen der gewaltbereiten Glatze gibt es NPD-Mitglieder oder – Anhänger mittlerweile quer durch alle Gesellschaftsschichten.


Den Rechtsrahmen unbequem gestalten

Das Innenministerium versucht, die rechtliche Situation für rechte Aktivitäten so unbequem wie möglich zu gestalten. Sowohl normale als auch politisch motivierte Kriminalität wird intensiv verfolgt. Das Ministerium will durch mehrere Runderlasse und Merkblätter zum Umgang mit Rechtsextremisten darauf hinwirken, rechtem Handeln und Denken keinen öffentlichen Raum zu geben. Ehrenbeamte, wie es beispielsweise die Ehrenamtlichen als Bürgermeister oder in der Freiwilligen Feuerwehr sind, müssen sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen. Die Grabstättenverordnung wurde so geändert, dass ein unrühmliches Gedenken nicht mehr möglich ist. Kommunen haben durch den Immobilienrunderlass Hinweise zum Umgang mit öffentlichen Gebäuden und NPD-Veranstaltungen erhalten. Besonders durch Musikveranstaltungen und Parties versucht die Szene, ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen und Anhänger zu binden. Mecklenburg-Vorpommern hat daher schon sehr früh versucht, diese Veranstaltungen zu verhindern, indem ordnungsrechtliche Mängel wie Verstöße gegen Gesundheits- oder Brandschutzbedingungen peinlich genau untersucht und bei Nichteinhaltung strenge Verbote ausgesprochen werden. Zudem hat die Polizei das Gespräch mit Gastwirten gesucht. Dieses Vorgehen war zunächst erfolgreich, doch hat die Gegenseite leider gelernt und eigene Räumlichkeiten geschaffen, die alle Vorschriften genau einhalten, so dass hier häufig keine Verbotshandhabe mehr besteht. Zudem wird das Zusammenkommen soweit möglich als private Feier abgehalten, so dass die Eingriffsmöglichkeiten von offizieller Seite gering sind. Gelernt haben die Rechten auch bei dem Abhalten von Versammlungen und Demonstrationen. Wenn das Motto geschickt formuliert ist und die Anhänger so in Zaum gehalten werden, dass sie keine Straftaten ausüben, hat die Polizei keine Möglichkeit, eine Versammlung abzubrechen oder zu verbieten. Dass auch die Polizei diese Demos nur ungern schützt, ist der Bevölkerung schwer zu vermitteln.


Anstieg rechter Gewalt – besonders während der Landtagswahl

In der Tendenz kann die Polizei seit 2000 eine Zunahme von rechtsextremistisch motivierten registrierten Straftaten feststellen. Anstatt plakativer Schmierereien wie dem Malen eines Hakenkreuzes ist in den letzten zwei Jahren festzustellen, dass rechtsnationale Parolen verbreitet werden. Beängstigend und für Mecklenburg-Vorpommern einzigartig ist, dass es während des Landtagswahlkampfes 2011 nicht nur zu den sonst schon üblichen Übergriffen wie zerstörten Plakaten gekommen ist, sondern 44 Büros der etablierten Parteien mit Farbbeuteln und Steinen angegriffen wurden.

Landeszentrale für Politische Bildung

Mit LOBBI und dem Regionalzentrumfür demokratische Kultur Hansestadt und Landkreis Rostock in der Landeszentrale für Politische Bildung

Das Landesprogramm für Demokratie und Toleranz, für das die Landeszentrale für Politische Bildung zuständig ist, wird grundsätzlich positiv bewertet. Kern des Landesprogramms sind die Regionalzentren für demokratische Kultur und die Opferberatung durch LOBBI. Es bietet, zumindest zunächst bis 2013, einen einigermaßen verlässlichen finanziellen Rahmen durch Förderungen des ESF und des Bundes. Die demokratischen Parteien sichern eine Finanzierung bis 2020 zu. Von grüner Seite wird eine Verstetigung der Förderung durch eine Bundesstiftung gefordert. Allerdings stecken vor allem die Bundesgelder einen relativ engen Rahmen für die Zielrichtung der politischen Arbeit. Hier wäre es wünschenswert, wenn die Länder auf ihre Anforderungen spezifischer eingehen könnten. Mecklenburg-Vorpommern würde öfter präventiv tätig werden, anstatt wie vom Bund vorgegeben interventionistisch. Problematisch ist zudem, dass die Bundesmittel im Schwerpunkt Projekte fördern, denn dadurch fehlen die für jegliche politische Arbeit notwendigen Strukturen, die wiederum auch für die Umsetzung von Projekten benötigt werden. Mit Demokratiepädagogik soll dem Rechtsextremismus dauerhaft der Nährboden entzogen werden. Zusätzlich gibt es Beratungsteams des DGB, die Firmen beim Umgang mit rechten Mitarbeitern beraten.


NPD baut Mecklenburg-Vorpommern durch „völkische Siedlungspolitik“ als Modellregion auf

Der Direktor der Landeszentrale Jochen Schmidt beobachtet, dass das politische Klima aufgrund des noch andauernden Transformationsprozesses und der daraus folgenden Orientierungslosigkeit, der schwierigen sozialen Lage, der demografischen Entwicklung und der Grenznähe besonders anfällig ist für die Gefahren von rechts. Ebenso wie das Innenministerium beobachtet die Landeszentrale ein Durchdringen der Gesellschaft und eine Professionalisierung der Arbeit der Partei in den Parlamenten. Es scheint, dass die NPD nicht mehr aus Protest gewählt wird, sondern über eine Stammwählerschaft von fünf Prozent verfügt. Die NPD baut Mecklenburg-Vorpommern sogar als Modellregion auf, die sie durch gezielte Zuzüge von Parteimitgliedern flächendeckend durchdringen will. Im Rahmen einer „völkischen Siedlungspolitik“ werden Bauernhöfe, vor allem in entsiedelten Gebieten, gekauft und dort ein „traditionell-germanischer“ Lebensstil gepflegt. Doch auch ohne den historisch-völkischen Hintergrund ist Mecklenburg-Vorpommern ein beliebtes Zuzugsgebiet für NPDMitglieder, da die Partei dort lange ungestört agieren konnte. Erst langsam steigt die Sensibilität in der restlichen Bevölkerung für die Problematik und es wird um Aufklärung gebeten. Noch immer fühlen sich viele PolitikerInnen und BürgerInnen im Kampf gegen Rechtsextremismus vor Ort bedroht und alleine gelassen.

Polizeiinspektion Wismar

 

 

Rechte Hochburg „Thinghaus“

Die Polizeiinspektion Wismar bekämpft mit dem „Thinghaus“ in Grevesmühlen einen wichtigen Treffpunkt der rechten Szene. Das Gelände des „Thinghauses“ ist mit Nato-Draht umzäunt, teilweise bewachen Patrouillen mit kaukasischen Schäferhunden die Anlage und die Fenster der Gebäude sind vergittert. Das Haus ist nicht nur der Firmensitz des einschlägig vorbestraften Eigentümers Sven Krüger, der aus Jamel kommt und nationalistische Publikationen wie den Meckelbörger Boten verlegt, sondern zugleich auch NPD – Büro von Parteigrößen wie Kösters und Pastörs. Das Gelände wird umfangreich für das rechte Gesellschaftsleben genutzt, u.a. für Konzerte, Parteiveranstaltungen, Faschingsfeiern, Skatabende, Grünkohlabende, Kinderfeste oder Lesungen. Vor allem die Musikveranstaltungen ziehen teilweise mehrere hundert Teilnehmer aus unterschiedlichen Regionen an.


Nutzung konsequent erschweren

Die Polizei erschwert die Nutzung des „Thinghauses“ durch intensive Polizeiarbeit im Rahmen des rechtlich möglichen. Wenn Einsatzfahrzeuge in der Nähe sind, ist es üblich, bei dem Gelände vorbeizufahren und Präsenz zu zeigen. Vor größeren und kleineren Veranstaltungen oder Konzerten, die zumeist alle 14-Tage stattfinden, wird der Bereich rund um das Thinghaus abgeriegelt und jedes Fahrzeug sowie alle Insassen werden umfassend vor und nach den Veranstaltungen kontrolliert. Auffällig sind die hohe Zahl einschlägig vorbestrafter Besucher und die zahlreichen Waffen wie Messer und Schlagringe, die mitgeführt werden. Dadurch , und durch die starke Alkoholisierung vieler Fahrzeuginsassen, kann die Situation für die Beamtinnen und Beamten schnell brenzlig werden. Jeder dieser Einsätze, bei dem auch immer der Leiter der Polizeiinspektion oder sein
Stellvertreter anwesend sind, bindet 30 – 35 PolizistInnen für ca. zehn bis 12 Stunden und stellt daher einen erheblichen aber notwendigen Aufwand dar, der angesichts des braunen Sumpfes sehr motiviert und engagiert angegangen wird. Schwieriger wird der Kampf der Polizei dadurch, dass die rechte Szene immer konspirativer zusammenarbeitet und die Veranstaltungen immer kurzfristiger, häufig auch flashmobartig, organisiert werden.


Dauerkontrolle durch MAEX

Die Polizeieinheit MAEX (Mobile Aufklärung Extremismus) hat die Aufgabe, rechte Strukturen dauerhaft und verdachtsunabhängig zu kontrollieren und zu beobachten. Bekannten Rechtsextremisten wird durch häufigen Gefährderansprachen klar gemacht, dass die Polizei sie im Auge behält und zwar auch bei Veranstaltungen in anderen Bundesländern. Die massiven Kontrollen führen dazu, dass Aktivitäten der betreffenden Personen oder sogar ganze Veranstaltungen eingestellt werden. Zu der Tätigkeit der Beamten gehört auch Aufklärung der Zivilgesellschaft und Präventionsarbeit. Nach eigener Einschätzung ist MAEX ein erfolgreiches Instrument im Kampf gegen Rechtsextremismus.

AutorInnen: Ass. iur. Jessika Hazrat, M.A.E.S., Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Wolfgang Wieland, MdB, Deutscher Bundestag, 11011 Berlin (Urherberrecht der Fotos liegt bei W. Wieland)

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